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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mehr als je nachhing. Pirmasenz wurde in dieser Beziehung das pfälzer Potsdam (siehe Gartenlaube 1871, Nr. 31 und 32) – dort hielt er ein Regiment der schönsten geworbenen Leute; exerciren lassen war seine Lust, und er selbst rühmte sich, der beste Trommelschläger Europas zu sein. Ja, bei Gelegenheiten großer Schaustellungen, zu denen Zuschauer aus aller Herren Länder kamen, verschmähte er es nicht, den Soldaten selbst die Bärte zu wichsen und die Zöpfe zu drehen, damit nur Alles recht stramm und proper sich ansah. Daß bei einem so gearteten Charakter kein tieferes, seelisches und geistiges Verhältniß möglich war – braucht wohl nicht erst besonders betont zu werden. Und doch war die erbprinzliche Ehe keine unglückliche, und daß sie das nicht war, mag wohl allein das Verdienst der Erbprinzessin gewesen sein. Die ihr eigene tiefe Charakteranlage bekundet sich wohl darin am deutlichsten, daß sie das Achtungswerthe und Treffliche in dem Wesen des Erbprinzen, sein klares, praktisches Denken, sein höfliches Wesen, seine Rechtlichkeit und Einfachheit und seine Willenskraft herauszufinden wußte. Indem sie so den inneren sittlichen Kern aller seiner Handlungen loslöste, schuf sie sich dadurch eine praktische Lebensbasis, die sie wenigstens vor innerem Unbefriedigtsein bewahrte. So reich und vielseitig ihr geistiges Wesen war, so bestimmt und praktisch war es in seinen Zwecken und Zielen. Das war etwas ganz Außerordentliches in jenem Jahrhundert, das so viel Geist zeigte, und diesen so wenig bewährte.

Aber auch zur Vermeidung dieses Fehlers mag ihr der Weise von Sanssouci Form und Richtung gewesen sein. Er war ihr Held, und die Begeisterung für ihn trug ihre reichen Früchte, namentlich als der alte Verehrer Maria Theresia’s zu seinen Vätern eingegangen war und der Erbprinz als Landgraf Ludwig der Neunte die Regierung des Landes angetreten hatte. Hier zeigte es sich, was die geistige Kraft einer Frau im Verein mit feinem Tacte, mit graziöser Anmuth und einer unversiechbaren Güte des Herzens zu schaffen vermag.

Die Landgräfin verstand es, den guten wie den schlimmen Eigenschaften ihres Gemahles eine Richtung zu geben, die zum Segen des Landes und der Unterthanen wurde. Auf ihre Veranlassung geschah es, daß der Minister von Moser in das Land gezogen wurde; mit ihm begann eine Reihe von Reformen, die den Wohlstand in Städten und Dörfern durch Einführung rationeller, von den Banden des Feudalstaates befreiter Landwirthschaft und Industrie hoben, Reformen, welche auch die Hebung der Finanzkraft des Landes, in erster Linie Tilgung und Verminderung der Landesschulden, bezweckten und sich namentlich auf Schulen und Unterricht erstreckten, hauptsächlich aber die Uebung und Aufrechthaltung religiöser Toleranz zur Folge hatten, welche den Frieden in die Herzen und in die Hütten trug. Aber auch dem Schmucke, dem Reize und der Schönheit des Lebens wurde bei der so allseitigen Begabung der Landgräfin ihr Theil.

Sie hielt im Schlosse von Darmstadt Hof – nicht für Höflinge, sondern für die Geister der Nation, für die Barden und Weisen, die dem Volke der Lieder Kunst enthüllten und hohe Lehren vortrugen.

Da kam der graciöse Wieland und der feurige junge Goethe und hatte jenes Abenteuer, von dem einst den Lesern dieses Blattes Levin Schücking in seiner Novelle „Der gefangene Dichter“ (Gartenlaube, Jahrgang 1858 Nr. 6 und folg.) erzählt hat; da verkehrte Herder und holte sich seine Braut, Karoline Flachsland, vom Darmstädter Hofe hinweg; da drückte der geniale Merck dem dortigen Kreise seine geistige Signatur auf; da erschienen Georg Schlosser, der phantastische Leuchsenring, Herr von Grimm, und so viele Andere, und Jeder ging beglückt und begeistert von dannen, und Jeder trug von dem Walten der Persönlichkeit der Landgräfin eine innere Befruchtung davon, und wie der Vogel auf seinen Flügeln den Samen in weit entlegene Gegenden trägt, so wurde jeder Mund zum Verkündiger ihres Ruhmes, der ihr schon von ihren Zeitgenossen den Beinamen „Die große Landgräfin“ eintrug.

Entsprechen nicht die leiblichen Züge des beifolgenden Portraits, welches nach einem Originalölbilde im Darmstädter Schlosse angefertigt und durch die Güte der Frau Prinzessin Ludwig von Hessen der Gartenlaube zugänglich gemacht worden ist, entsprechen sie nicht dem geistigen Bade, welches wir soeben von ihr entworfen haben? Jedenfalls stammt das Bildniß aus den späteren Zeiten ihres Lebens, und während aus allen Portraits fürstlicher Personen dieser Zeit nur die Coquetterie spricht, sieht uns hier ein charaktervolles Gesicht an, das in jedem Zuge den Stempel der Wahrheit trägt. Schön war die Landgräfin wohl auch in ihrer Jugend nicht gewesen, dazu ist das Gesicht zu lang gezogen; aber wie edel ist die Stirn geformt, wie eigenthümlich und stark entwickelt ist der untere Theil des Gesichtes, die Partien des Kinns! Hier sind die Eigenschaften des Charakters ausgedrückt, während an der Stirn und aus den klugen, hellen Denkeraugen die Strahlen geistiger Freiheit leuchten, in deren Cultus sie ihr Leben gegeben hatte. Auch die lautere Güte und die Wärme des Herzens sprechen zu uns aus diesen Blicken; aber das vereinte Wesen der Frau, die volle schöne Natur liegt in ihrem Munde, in der Form, dem Zuge der Lippen, in die ein unnachahmlicher Liebreiz gelegt ist, von dem Maler, der ein ganz bedeutender Künstler gewesen sein muß, von der Natur, welche gerade diesen Theil des Gesichtes der Landgräfin, diesen Theil, in dem sich Geist und Herz äußern, zum Sitze der Schönheit gemacht hat. Dieser Mund scheint eben ein menschenbeglückendes Wort gesprochen zu haben.

Man muß wissen, wie die Fürstenkinder des vorigen Jahrhunderts erzogen wurden, wie alle dahin ausgehenden Bestrebungen auf äußerliche Dressur gerichtet waren, wie Herz, Charakter, Geist und Leib dabei verkümmerten, um die hohe, ihre Zeit weit überragende Stellung beurtheilen zu können, welche die Landgräfin als Erzieherin ihrer Kinder einnahm. Sie hatte deren neun, drei Söhne und sechs Töchter. Namentlich beschäftigte sie die Sorge um Heranbildung des Erbprinzen Ludwig, des spätern ersten Großherzogs zu einem tüchtigen Menschen und guten Regenten. Von welcher Anschauung sie dabei geleitet ward, möchte aus folgender kurzen Briefstelle hervorgehen:

„Ich will nicht, daß ein Kind von mir sich einbildet, es sei mehr werth als die übrigen Menschen, und daß es darum Alles, was Andere für dasselbe thun, nur als eine Pflicht derselben ansehe. Bitten wir den lieben Gott für Louis, daß er einst sein Land glücklich mache. Das ist Alles, was ich wünsche.“

Ueber die körperliche Ausbildung der Kinder dachte sie in einer Weise, die den Professor Bock in Leipzig zu ihrem begeisterten Freunde gemacht hätte.

„Lasse Karl zu Fuß gehen,“ so schreibt sie einmal an ihre Schwägerin von Baden, „ich befehle es Dir an, und wenn er nicht daran gewöhnt ist, dann gewöhne ihn eben nach und nach. Spaziergänge zu Fuß härten die Kinder ab und geben ihnen ein frisches Aussehen.

Eine Stelle eines Prenzlauer Briefes an die Prinzessin Amalie in Preußen lautet:

„Sie würden sich über mich moquiren, sähen Sie mich ist meinem Wagen, von meinen zwei Kindern begleitet, ausfahren. Ich lasse sie dann laufen, sich tummeln, wenn wir draußen im Freien sind. Man könnte sagen, das sei zu spießbürgerlich; Sie, theuerste Prinzessin, denken das nicht.“

Selbst als die Töchter schon verheirathet waren, glaubte sie ihr Erziehungswerk damit noch nicht vollendet. Sie setzte es brieflich fort. Sie suchte ebenso sehr auf Gemüth und Charakter einzuwirken, wie sie ihnen Rathschläge für ihre äußere Erscheinung, ihr Auftreten vor der Welt gab. „Daß man nicht die Frisur zum Schrecken des Mr. Snieder (damals ein berühmter Friseur in Berlin, wahrscheinlich Herr Schneider deutschen Namens) betaste und daß die Finger nichts im Gesicht und an der Nase zu thun haben – daß man gleich beim Aufstehen sich frisiren oder wenigstens die Haare in Ordnung bringen lasse; man muß besonders schön sein, wenn die Unordnung nicht auffallen soll,“ schreibt sie einmal an die Tochter in Preußen, der sie dabei eine besondere Sorgfalt im Morgenanzuge empfiehlt. „Wenn dasselbe selbst etwas raffinirt erscheint, schadet das nichts; denn es ist eine Pflicht für eine junge Frau, sich in den Augen ihres Gemahles so anziehend wie möglich zu machen.“

Wie sie hier ihre Welterfahrung zeigt, so gewinnt man aus einem anderen Briefe an dieselbe Tochter einen Einblick in ihr Inneres: „Ich bitte Dich inständigst, Jedermann in seiner Art glücklich zu machen, und wenn Du Anwandlungen von übler Laune und Heftigkeit hast, Dich dem einen und dem andern gegenüber zu prüfen. Bemühe Dich nicht, Deine Heftigkeit zu zügeln, sondern sie auszurotten; denn sie verletzt die Menschen. – Hüte Dein Herz, damit es niemals lernt, Jemandem zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_280.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)