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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

wenn auch der Körper, namentlich Füße und Zunge, ihm den Dienst versagten, der Geist war frisch geblieben bis an sein Ende. Durch unermüdliches Studium hatte er die Lücken seiner Schulbildung auszufüllen gewußt und sich namentlich auf dem Gebiete der Literatur, Philosophie und Geschichte schätzenswerthe Kenntnisse erworben. Unter den Poeten waren Shakespeare und Goethe, unter den Philosophen Lessing und Schopenhauer, unter den Historikern Thomas Carlyle und Theodor Mommsen seine Lieblinge.

Durch Gastspiele in London und den bedeutendsten Städten Deutschlands hat Dessoir seinen Ruhm über Europa und weiter verbreitet. Zum letzten Male trat er als Gast auf dem Meininger Hoftheater 1870 einmal als Marcus Brutus (Julius Cäsar) auf. Gar oft erzählte er mir, daß er als freundliche Erinnerung an diese letzte Stätte neuen Triumphes den Eindruck der wunderbaren Schönheit eines jungen, goldlockigen Mädchens bewahre, welches neben ihm den Lucius spielte und ihn im vierten Acte durch Wein und Musik zu dem letzten, entscheidenden Gange stärkte. Der Genius der Poesie, glaubte er, grüße ihn noch einmal in dieser Erscheinung; aber nicht neue Kraft wurde ihm zu neuem Schaffen.

Es findet sich bei Tacitus eine ergreifende Stelle, welche mir stets als die trefflichste Grabschrift derer erschien, die so stolzer Worte würdig sind. Sie möge hier als Abschiedswort an Ludwig Dessoir stehen:

„Wenn es einen Wohnort seliger Geister giebt, wenn, nach dem Ausspruche der Weisen, eine große Seele nicht zugleich mit dem Körper der Vernichtung anheimfällt, so ruhe in Frieden und wende uns weg von schwachmüthigem Trauern und weibischem Wehklagen zur Betrachtung Deiner Tugenden, um die man nicht weinen, noch jammern soll. Durch Bewunderung vielmehr, durch immer neue Lobpreisung und, wenn unsere Kraft zureicht, durch Nacheiferung wollen wir Dich ehren. Das ist die rechte Ehrenbezeigung, das ein Liebeszeichen innigster Verbindung. Was wir an Dir geliebt, was wir bewundert haben, das bleibt und wird bleiben in den Herzen der Menschen, in der endlosen Folge der Zeiten, in der Geschichte.“

Otto Franz Gensichen.




Epische Briefe.
Von Wilhelm Jordan.
VI. Iran und Firdusi.


Dieser Brief soll mit Umrißstrichen zeichnen, wie sich die mitgebrachte Göttersage der Arier in Iran ausgebildet hat zu einer der edelsten Religionen; wie diese Religion ihre Bekenner groß gezogen hat zur weltbeherrschenden Nation, und wie fast drei Jahrtausende nach Beginn dieser Geschichte in einem Enkelstamme der alte Liederschatz zum schönen Kunstepos gediehen ist.

In früheren Erd-Epochen war Iran ein Meer, umgrenzt von einem weiten Kranze felsiger Inseln. Erhebungen verwandelten diesen Inselkranz in ein zusammenhängendes Gebirge, nach außen schroff, nach innen allmählich abfallend und ein Binnenmeer, ähnlich dem Caspischen, einschließend. Ferneres Schwellen der dortigen Haut unseres Planeten ließ dieses Meer zusammenschrumpfen zu einigen Seen und legte die große Mittelmulde trocken als felsige Salzwüste.

Vom Meeresniveau steigt das Land im Demawend, dem Gipfel des Elbrus, bis zur Höhe des Montblanc. Diese Höhenunterschiede und die Sonnengewalt jener Breiten bedingen die schroffsten Contraste. Von schneebedeckten Terrassen gelangt man rasch hinab in blühende Thäler. Die nördlichen Hochländer, oft heimgesucht von Wolkenbrüchen und Erdbeben, erleiden harte Winter und wochenlang verschneien die Felder und Weiden. An den Flüssen aber, dem Kur, dem Araxes, in den Thälern von Schiras, im Rosengarten Irans, der Landschaft Persis, gedeihen zwischen Myrthen- und Orangenhainen die üppigsten Obst-, Blumen- und Fruchtgärten. An den südlichen Küsten erreicht der Pflanzenwuchs eine fast tropische Fülle, und die Dattelpalme trägt reichliche Frucht. Wie aber dort der Schnee, so droht hier und besonders in den einwärts gerichteten Thälern glühender Flugsand die Aecker zu verwehen. Denn Iran ist ein umgekehrtes Aegypten: dort liegt das Land mitten in der Wüste, hier die Wüste mitten im Lande. Vom Mai bis in den September trübt keine Wolke das tiefe Blau des Himmels. Seine Durchsichtigkeit giebt der Landschaft ein scharfes Gepräge und energisch absetzende Farben, dadurch dem Auge des Menschen eine staunenswerthe Sehkraft, seiner geistigen Auffassung große Bestimmtheit und Klarheit.

In dieses Land der schroffsten Gegensätze von Tag und Nacht, Gluth und Frost, Fruchtboden und Wüste, dem Menschen günstiger und feindlicher Natur, brachten die Arier dieselbe Göttersage mit, welche im Stromgebiete des Indus auch die ihrer indischen Vettern gewesen war: die Anschauung aller Erscheinungen als Kampf zwischen den Mächten des Lichts und der Finsterniß. In den Gangesländern, wo die unerschöpfliche Zeugungskraft der Natur der Zerstörung spottet und alles Gestorbene rasch verwandelt in neues Leben, verblaßte die Vorstellung von zwei feindlichen Götterparteien, und bald verschwammen ihre Gestalten zu Traumgeburten der einigen Weltseele. In Iran bestätigte jeder Blick die Scheidung der Götter in zwei feindliche Heerlager. So wurde diese Lehre hier zum Grundsteine eines systematisch ausgeführten Religionsgebäudes.

Die indischen Arier fanden am Ganges eine neue Heimath, in welcher es sich bei Weitem leichter leben ließ als in der alten; die nach Iran ausgewanderten hatten ihr Dasein hier weit größeren Schwierigkeiten abzuringen als bisher. So sollten sie beweisen, daß Hindernisse, so lange sie nicht ganz unüberwindlich sind, als Mächte des Segens wirken, weil der Kampf mit ihnen Erzeuger der Kraft ist. Hier bekam der Mensch sein Leben nicht geschenkt, sondern nur bezahlt als Arbeitslohn. So vergeudete er es nicht wie eine unverdiente Erbschaft, sondern verwaltete es wie ein sauer erworbenes Vermögen, von dem er die Zinsen geniesen darf, das Capital aber unversehrt, ja vermehrt seiner Nachkommenschaft überliefern muß.

Im östlichen Iran, in Baktrien und Sogdiana, wo zuerst unter tüchtigen Stammfürsten ein geordnetes Culturleben aufgeblüht war, im Innern voll Arbeit gegen die Wüste und den Winter, nach außen voll Kampf gegen räuberische Nomadenstämme, trat, ungefähr ein Jahrtausend vor Christi Geburt, ein Weiser auf, der die zwiespältige Naturreligion in ein philosophisch-poetisches System brachte, Zarathustra oder Zerduscht, von den Abendländern Zoroaster genannt. Er ordnete die Schaaren der guten und bösen Geister zu zwei Reichen unter zwei obersten Herrschern, Ahuramazda (Ormuzd), das ist der Herr der großen Gaben, und Agramainyus, ein Name, den wir im Deutschen noch mit denselben wenig veränderten Worten wiedergeben können; denn aus agra ist durch eine sehr gewöhnliche Versetzung unser arg geworden, und mainyus ist „der meinende“, Agramainyus also der Arges meinende, sinnende, später abgekürzt in Ahriman. Beide befehligen Heerschaaren ihnen ähnlicher, nach Rangstufen abgetheilter Geister, Ahriman die Dews oder Divs, und Ormuzd zunächst die Amschaspands. Der Name dieser letzteren, in der Ursprache anesha çpenta,[1] das ist die heiligen Unsterblichen, verräth, daß die ursprüngliche Vorstellung keine andere gewesen ist, als die germanische von den besten Helden, welche Wodan als Einherier in Walhall um sich schaart.

Die Erde in ein Paradies zu verwandeln, war im strengen Wortsinne die von dieser Religion gestellte Lebensaufgabe der iranischen Völker. Denn Paradies (pairidaëza, das ist Umrahmung des Körpers, ungefähr unser „Leibgehege“) ist ein iranisches Wort und bedeutet eine Umfriedigung, innerhalb deren die Natur durch Kunst zur höchsten Schönheit, Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit des Lebens gesteigert ist. Solche Parke anzulegen strebte Jeder nach seinen Mitteln, vor Allen die Könige. Welches Naturgefühl in diesem lebte, beweist ein hübscher Zug, den Herodot von Xerxes erzählt. Als dieser in Lydien eine besonders schön gewachsene Platane fand, stiftete er dem Baume zur Belohnung einen goldenen Schmuck und einen ständigen Wachtposten.

  1. Mashya und mesha ist unser „Mensch“ und bedeutet sterblich, amesha, sanskrit amartya, griechisch άμβροτος, lateinisch immortalis, unsterblich, und çpentas ist das lateinische sanctus, littauisch swentas, heilig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_111.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)