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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

ebenbürtige Gefährtin zu haben, die Freundin des Geistes und die Frau des Herzens. Wenn wir einmal so weit sind, dann wird die deutsche Ehe das sein, als was wir sie heute nur halbberechtigt preisen hören, die beste von allen. Glauben Sie mir, lieber Professor, einer solchen Ehe sind auch Ihre ‚Stadien‘ nicht gefährlich, denn das unsichtbare Band, das aus Geist und natürlicher Neigung zu gleichen Theilen gewebt ist, hält unzerreißbar fest. – Sie sehen,“ schloß sie mit dem anmuthigsten Lächeln, ich frage auch: Wo fehlen wir? Machen Sie es Alle ebenso, und vielleicht ereignet es sich dann einmal, daß unserer verstandesnüchternen Zeit die Erkenntniß aufgeht, es gäbe nichts Praktischeres, als das jetzt so sehr mißachtete Ideal, das unser Volk wie den Einzelnen in Zeiten der Noth innerlich groß und stolz und frei gemacht hat.“

Sie sah mit leuchtenden Blicken von Einem zum Andern und freute sich der Zustimmung, die auf allen Gesichtern zu lesen war.

„Amen! Hoffen wir!“ sprach der Doctor und stieß mit seinem Glase an das ihrige. Mitternacht ist längst vorbei, und mit der Theorie der Ehestandsdifferenzen wären wir im Reinen. Jetzt ist’s an Ihnen,“ wandte er sich zu Franz und Agnes, „die Sache praktisch zu betreiben, nur schade, daß wir nicht gleich mehrere Paare zu einer kleinen Versuchsstation beisammen haben!“

„Eines steht Ihnen noch zu Diensten,“ erscholl es hinter seinem Rücken, und im höchsten Erstaunen sich umdrehend, sah er Richard und Olga Arm in Arm unter der offenen Glashausthür. „Ja, verehrte Frau,“ fuhr der junge Mann zu Felicitas gewandt fort, während sich Alles fragend und glückwünschend um die Erröthende drängte, „Sie haben ihr den Ehrgeiz geweckt, und sie will nun der Welt zeigen, welch wunderbare Frau man sein kann, indem sie gegen ihre Grundsätze einen Deutschen heirathet, um ihn zum bessern Menschen zu erziehen.“

„Aber meiner Kunst bleibe ich dabei doch treu,“ rief ihm Olga neckend zu, indem sie dem Ehepaare die Hände entgegenstreckte.

„So lange Du kannst,“ erwiderte Felicitas und schloß sie in die Arme. „Wenn Du aber nicht mehr kannst,“ flüsterte sie ihr in’s Ohr, „dann denke, daß die Liebe für das Weib das Höchste ist, und sei glücklich darüber!“




Bis zur Schwelle des Pfarramts.

Von Heinrich Lang in Zürich.
(Schluß.) Eine Welt aus Rand und Band.


Es war in den letzten Tagen des Februar 1848. Ich saß Abends zwischen vier und fünf auf der Museumsbibliothek, Bücher lesend und ordnend. Ein Lärm dringt von der Straße herauf, der immer lauter wird; ich trete an’s Fenster und öffne es. Drunten vor der Post hält ein Reiter auf schweißtriefendem Pferd, der einigen Umstehenden Dinge mittheilt, durch welche alle in die größte Aufregung versetzt werden. Ich schließe das Fenster und renne hinunter. „Louis Philipp gestürzt, die Republik in Frankreich proclamirt.“ Das war ein Funke in ein Pulverfaß. Längst hatte ich den Zorn über die Zustände der Kirche auf das Bestehende im Staat übergetragen, und Börne, Ruge, Heine, Herwegh hatten mir längst mit den Altären die Throne unterhöhlt. Frankreich eine Republik, das hieß in dem jugendlich erhitzten Gehirn, das keine Schwierigkeiten auf dem Wege sieht, sofort: Deutschland eine Republik. Ich stürmte mit pochendem Herzen in die Gesellschaft, die heute ihren dies academicus hatte, und rief in den Lärm des Kneiptages: „Louis Philipp entthront, Frankreich Republik.“ Man fragte nicht wie und wann und was; Alles löste sich in stürmischer Bewegung auf; man fiel einander vor Glück und Rührung in die Arme, brausende Freiheitsreden und Freiheitslieder erfüllten das Local und die Straßen, bis die Stiftsglocke rief. Am anderen Morgen eilte ich wieder auf das Museum, um alle von der Censur verbotenen Bücher, welche in einem geheimen Schranke aufbewahrt lagen, vor Allem Heine’s „Wintermärchen“, auf den Lesetisch zu legen. Man staunte über die Kühnheit, und auch mein Mitbibliothekar, Friedrich Vischer, dem die radicale Stimmung nicht fehlte, fragte bedenklich, ob denn das schon angehe. Aber es ging; denn es war keine Polizei mehr da. So war es durch ganz Deutschland. Nie hat man eine Welt schneller aus Rand und Band gesehen. Allen Gewalten war der jähe Schreck in die Glieder gefahren; jede Auctorität war gelähmt. Zum ersten Male nach langem Druck durfte man wieder reden und schreiben, was man wollte; der lang verhaltene Groll über Metternich und den deutschen Bund, in welchen Namen sich Alles zusammenfaßte, was das deutsche Volk an Schmach und Unfreiheit nach außen und innen erduldet hatte, machte sich mit Einem Male Luft in der Presse, auf der Straße, in Volksversammlungen. Die Luft schwirrte von Idealen und Wünschen, die in’s Maßlose schweiften; ein Volk von Denkern und Duldern sah sich über Nacht in ein politisches Volk umgewandelt, wenn man ein Schwärmen in’s Blaue ohne Klarheit und praktische Ziele Politik nennen will.

Bei uns in Süddeutschland wurde das politische Fieber gleich in den ersten Tagen noch gesteigert durch seltsame Gerüchte, die vom Rhein herdrangen: zweimalhunderttausend Franzosen seien in den Schwarzwald eingebrochen und bezeichnen, unaufhaltsam vordringend, ihren Weg durch Sengen und Brennen und Morden. Die erhitzte Phantasie solcher Zeiten glaubt Alles, aber wer wollte auch noch zweifeln, wenn er fliehende Familien aus Rottweil und Freudenstadt mit schwerbepackten Wagen ankommen sah und ihre haarsträubenden Erzählungen von dem weithin sichtbaren Rauche der brennenden Dörfer anhörte? Mir blutete das Herz bei dem Gedanken an meine armen Eltern und Geschwister; das Pfarrdorf meines Vaters, Schwenningen, lag nur drei Stunden hinter Rottweil. „Das ist von dem Lumpengesindel schon ganz überschwemmt,“ erzählte eine der geflüchteten Familien. Als endlich aus dem sechs bis sieben Stunden von Tübingen entfernten Städtchen Horb ein Abgeordneter, fast außer Athem vor Schrecken, ankam, von der Terrasse der neuen Aula aus eine Ansprache an die Studenten hielt und unter fürchterlichen Schilderungen von den Verheerungen, welche die vorwärts dringende Mordbrennerbande ringsum anrichte, sie bei allen Heiligen beschwor, seine bedrängte Vaterstadt zu retten, da lief, wie einst in den Tagen der Kreuzzüge, ein begeistertes: Gott will es! Gott will es! durch die Reihen der entzündeten Jugend, und der ergraute Professor Volz, der in früheren Tagen irgendwo eine militärische Charge bekleidet hatte, bot sich mit jugendlichem Feuer der Truppe zum Führer an in dem heiligen Kriege.

Sogleich sandte man nach Stuttgart um eine Ladung entbehrlicher Gewehre; in allen Schmiedewerkstätten hämmerte man Sensen, in allen Messerschmiedläden kaufte man Dolche; was einer Mordwaffe nur ähnlich sah, wurde hervorgeholt. Am zweiten Abend war die Ausrüstung fertig und das Bataillon formirt; es bestand aus fünf- bis sechshundert Mann; Niemand wollte zurückbleiben, außer wer keine Waffen mehr erhalten konnte. Nachts neun Uhr zog man aus, unter dem Absingen von Vaterlands- und Freiheitsliedern – gut, daß die Nacht den komischen Anblick verhüllte. In Rottenburg, dem Sitze des schwäbischen Bischofs, machte man Halt und nahm Erfrischungen ein. Aber seltsam! Das sehnlich erwartete Commando: Vorwärts, marsch! wollte nicht ertönen; man schrie über Feigheit; man murrte über den Feldherrn. Endlich, nach einigen Stunden ungeduldigen Wartens, hieß es: es ist alles nur blinder Lärm. Beschämt kehrte man um und kam gegen Morgen wieder in der Musenstadt an. Aehnliches begegnete an anderen Orten.

Man hatte damals nicht Zeit, nach der Quelle dieses seltsamen Franzosenlärms, der bis München gedrungen war, zu forschen; man vergaß das komische Intermezzo schnell ob den vorwärts drängenden Ereignissen und den raschen Bewegungen des öffentlichen Lebens. Vom Studium war natürlich keine Rede mehr. Unter denn Waffen schweigen die Musen. Die Stiftsordnung hatte überall Löcher bekommen. Eines Abends nach Tisch ertönt im Speisesaale der Ruf: Ferien, Ferien! Man schickt den Aufseher: Der Ephorus soll auf den Platz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_322.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)