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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

als man eigentlich erwarten durfte. Der Sperling vertritt darin gewissermaßen den Vogel im Allgemeinen. Meinungskundgebungen von den verschiedensten Seiten, erklärlicher Weise überaus mannigfaltig, einander widersprechend und befehdend, sind in die Oeffentlichkeit gedrungen, sodaß wir alle möglichen Vogelschutzanschauungen vor uns haben, von den gemäßigten bis zu den äußerst extremen.

Warmherzige Natur- und Thierfreunde verlangen thatkräftigen Vogelschutz, sei es aus Nützlichkeits-, Humanitäts- oder aus ästhetischen Rücksichten; sie sagen: die in unserer Heimath freilebende gefiederte Welt muß beschirmt, vor Verringerung oder gar Ausrottung behütet werden, weil ihre Thätigkeit für unsere Culturen unentbehrlich ist und weil die Vögel harmlose Geschöpfe sind, deren Verfolgung eine unmenschliche Grausamkeit wäre, sie müssen aber auch beschützt werden, weil sie vorzugsweise unsere heimische Natur beleben, unser Herz durch Gesang, Farbenschönheit und Bewegung erfreuen, während ohne ihre Anwesenheit die Natur allenthalben öde und todt erscheinen würde. Dem gegenüber steht aber eine andere Meinung, welche uns zuruft: Fort mit aller Schwärmerei! Der Mensch hat das Recht, sich eines jeden Geschöpfes zu bemächtigen, welches er einerseits zur Befriedigung seiner Bedürfnisse braucht, und das ihm andererseits feindlich entgegentritt; er darf selbst alle solche Thiere, welche ihm irgendwie unbequem oder unangenehm sind, ohne weiteres tödten oder vertreiben. Man führt dann im Weiteren aus, daß die Nützlichkeit der Vögel im Allgemeinen sehr problematisch sei, daß manche derselben uns lästig, ihr Fleisch dagegen sehr wohlschmeckend sei. Zwischen solchen Extremen schwanken nun die Anschauungen – und es hält in der That außerordentlich schwer, über das Verhältniß der Nützlichkeit oder Schädlichkeit irgend eines Vogels ein durchaus feststehendes Urtheil zu gewinnen. Selbst dem allbekannten Haussperlinge, dem gemeinsten unserer einheimischen Vögel, gegenüber ist dies nicht leicht. Ich hoffe mir den Dank des Leserkreises der „Gartenlaube“ zu erwerben, wenn ich betreffs seiner zunächst eine Uebersicht der Aussprüche aller Sachkundigen auf diesem Gebiete, welche im Jahre 1877 bei Besprechung der Vorlagen zum Vogelschutzgesetz in meiner Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ mitgeteilt wurden[1], hier anführe.

Der berühmte alte Naumann (1796) sagt: die Sperlinge thun einen ganz entsetzlichen Schaden, sowohl an Baum-, wie auch an Feldfrüchten, zumal wenn Gerste und Weizen anfangen zu reifen, doch füttern sie ihre Jungen mit Raupen und anderen Insectenbruten auf. – Bechstein klagt: es ist leider bekannt genug, daß die Haussperlinge auf den reifen Weizen- und Gerstenäckern, auf Erbsenbeeten, an Kirsch- und anderen Bäumen oft großen Schaden thun, allein sie werden den Wäldern und Gärten nützlich, da sie zur Heckzeit Maikäfer und Obstraupen in unzähliger Menge fressen. – Lenz hebt die Schädlichkeit noch mehr hervor, räumt aber ebenfalls ein, daß die Nützlichkeit, durch Reinigung der Bäume von allerlei Ungeziefer, sehr bedeutend sei. – Gloger tritt offen und eifrig für die Sperlinge ein: sie sind freilich oft überaus zudringlich, allein sie lesen unter Anderem vorzugsweise gern die Blattläuse von den jungen Trieben der Bäume und Sträucher ab; ihre Jungen füttern sie in den ersten Lebenstagen hauptsächlich mit kleinen Raupen. Schon damit allein würden sie sich wahrlich einige süße Kirschen und Weinbeeren verdienen. – Die Gebrüder Müller besprechen in sehr eingehender Weise den Nutzen und Schaden und heben hervor, daß ersterer sich auf den Vorsommer beschränke und in der Vertilgung von Kerbthieren bestehe, daß aber das entschiedene Uebergewicht in der Wagschale des letzteren liege. „Zur Stunde, wo er sich als Beschützer der Obstbäume mit dem Gartenbesitzer befreundet, empört der Spatz diesen wiederum durch freventliches Zerbeißen der Blüthen- und Blattknospen. Die Hanf- und Hirse-Aecker werden mit Vorliebe heimgesucht und reichlich gezehntet; den Wein plündert er einzeln oder in kleineren Gesellschaften an den Spalieren und in Massen in den Weinbergen; in den Scheunen und auf Fruchtböden stiehlt er Getreide und Sämereien; ebenso dringt er in die Vorrathskammern und nimmt, was er nur haben kann, da er ja alles frißt; an Metzgerläden benascht er das ausgehängte Fleisch und Fett, und in das vor den Küchenfenstern hängende gerupfte Geflügel hackt er Löcher. Deshalb können wir es nicht gut heißen, wenn man die Sperlinge überhand nehmen läßt, sondern empfehlen vielmehr, ihre zu große Vermehrung zu verhindern.“ – A. E. Brehm wollte früher den Haussperling als überwiegend nützlichen Vogel betrachtet wissen, „weil er durch Aufzehren der schädlichen Kerbtiere unzweifelhaft mehr nützt als schadet und sich während des ganzen Sommers hochverdient um Anpflanzungen und Felder macht, und weil er andererseits nur während der Reife gewisser Fruchtarten sich schädlich zeigt“. Späterhin ist dieser Schriftsteller freilich zu der Meinung gekommen, „daß der auf Kosten des Menschen lebende Schmarotzer keines Schutzes würdig sei“. Er wirft ihm in gleicher Weise wie die vorhergegangenen Forscher arge Uebelthaten vor und sagt, man müsse sich wohl oder übel zu der Ansicht bekehren, daß der Sperling die auch von ihm früher erbetene Nachsicht und Duldung nicht verdiene. – E. von Homeyer hebt besonders hervor, daß der Spatz die allernützlichsten Vögel, namentlich Staare und Meisen, verdränge und den Sängern den Aufenthalt in den von ihm zahlreich bewohnten Gärten verleide. Der im Laufe eines Jahres von einem Sperlingspaar verursachte Schaden betrage übrigens zwei bis drei Mark. – Ferdinand, Baron von Droste erachtete ihn für die Obstbaumzucht und Forstwirthschaft als überaus nützlich, für die Landwirthschaft, den Gemüse- und Weinbau als vorwiegend schädlich. Der Forstmann müsse ihn hegen, der Landwirth, welcher keine Obstbäume hat, vertreiben, der Gärtner, welcher Obsthandel treibt, ihn eifrig schützen und der Weinbauer verfolgen. – V. von Tschusi-Schmidhoffen sagt: der Sperling gilt bei Alt und Jung für einen schädlichen Vogel und findet nur wenige Freunde, welche seinen großen Nutzen, den er durch massenhafte Vertilgung des Ungeziefers leistet, wirklich anerkennen; er zählt ihn zu den größtenteils nützlichen Vogelarten. – Giebel gelangt zu demselben Ergebniß und fügt hinzu, man müsse ihn mit wachsamem Auge betrachten und sehr vorsichtig behandeln. Jedenfalls sollte man seine Bruten und ihn selbst während derselben ebenso sorglich schonen, wie jeden Insectenfresser; man solle ihn nur dort, wo er an Nutzgewächsen wirklich verheerend auftritt und durch ausgestellte Scheuchen nicht fern zu halten ist, befehden. – Auch Professor Jeitteles behauptet, daß sowohl der Haussperling wie auch der Feldsperling Schutz und Pflege verdienen. – Altum und Landois halten den ersteren für ungefähr ebenso schädlich wie nützlich, während Mühlig ihn ganz und gar verdammt und Karl Vogt ihm namentlich die Kirschenräubereien vorwirft. – Mein Urtheil lautete schon vor vielen Jahren so, wie ich es auch jetzt noch festhalte: Der Nutzen des einzelnen Sperlings wird den von ihm an Getreide, Obst, Gartensämereien u. s. w. angerichteten Schaden reichlich aufwiegen; gegen eine das Gleichgewicht störende und allerdings nicht selten sehr schädlich werdende Ueberzahl haben wir uns freilich zu wehren. Keineswegs will ich rathen, daß man ihn irgendwo völlig vertilge; man möge ihn vielmehr dort fern halten, wo er schadet, und nöthigenfalls seiner übermäßigen Vermehrung Schranken setzen.

Angesichts solcher staunenswerth mannigfaltigen, einander widersprechenden und nicht selten arg befehdenden Urtheile der Gelehrten dürfen wir uns keineswegs darüber wundern, wenn kürzlich im deutschen Reichstage der Abgeordnete Fürst Hohenlohe-Langenburg den Ausspruch gethan: „Ich habe mich davon überzeugt, daß die Wissenschaft der Ornithologie bis jetzt noch nicht so weit gediehen ist, um mit voller Sicherheit von einer Vogelart behaupten zu können, daß sie durchaus nur nützlich für den Menschen, und von der anderen, daß sie entschieden nur schädlich sei.“[2]

Um so mehr aber erscheint es bedauernswerth, wenn der Mädchenschullehrer C. Becker in Jüterbogk in einer kleinen Schrift, nur auf die Untersuchungen einiger Gelehrten gestützt, mit Entschiedenheit zur völligen Ausrottung der Sperlinge auffordert[WS 1]. Unwillkürlich fällt uns dabei die Anekdote vom alten Fritz ein, der die Sperlinge vertilgen wollte, weil sie ihm Kirschen gefressen hatten, und der sie bald nachher wieder hegte, weil ihm die Raupen die Bäume und die Gemüse kahl fraßen. Becker geht sogar so weit, daß er, auf die Angaben eines andern Sperlingsfeindes, jeder Spatz brauche jährlich acht Metzen Getreide zu

  1. Nutzen und Schaden der uns nächst umgebenden Vögel, nach den Aussprüchen aller hervorragenden Ornithologen,“ zusammengestellt von Dr. Karl Ruß und Bruno Dürigen. Siehe die neubearbeiteten Gloger’schen Vogelschutzschriften (Leipzig, Hugo Voigt).
  2. Siehe den stenographischen Bericht der zwanzigsten Sitzung am 15. März 1879.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_307.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)