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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

poetisches Schaffen mit finsteren Blicken verfolge, und nachdem ich ihr noch erklärt, daß mein Gedicht, das ich eben zu ersinnen im Begriff sei, ja zu einer Geburtstagsgabe für den Dichter jener schönen Lieder, dessen Bild sie eben mit Wohlgefallen betrachte, bestimmt sei, da erwiderte sie in sichtlicher Freude: ,Für den, den mit den schönen Silberlöckle? Ach, Männele, wenn ich das gewußt hätte – komm, komm, dichte das Liedel fertig! Werde Dir das Lämpel blendend helle machen und Dich gar nicht mehr stören.’ Damit schlich sie leise aus dem Zimmer, mich mit meinen Gedanken allein lassend. Ich setzte mich an den Tisch, um mein Widmungsgedicht zu vollenden.


„Sapperment! Wie war doch der Ton?“
Nach dem Oelgemälde von J. Rösl.


Doch auch jetzt wollte die Nachbildung des Rosenliedes nicht gelingen, mißmuthig warf ich endlich die Feder hin, um meine Schlummerstätte aufzusuchen. Doch siehe da, es durchzuckte mich plötzlich ein glücklicher Gedanke. ,Wie,’ sagte ich mir, ,wenn dir die gekünstelte Form jenes Liedes ganz bei Seite ließest, statt dessen schriebest, wie dir’s um’s Herz ist, und die eben erlebte Scene zum Gegenstand deines Gedichtes machtest?’ Und gedacht, gethan! Leicht flossen jetzt die Verse aus der Feder, und schon am Morgen konnte das Gedicht, welches ich ,Meister Rückert und sein Lehrjunge’ nannte, zur Druckerei abgehen.“

Nach Herausgabe des Buches fand Weise im eigenen Heimathsorte für seine Gabe nur den Spott und Hohn seiner Mitbürger, sodaß sich das Wort vom Ansehen des Propheten in seinem Vaterlande auch bei ihm in seiner vollen betrübenden Wahrheit bestätigte. Aber das deutsche Volk urtheilte anders. Schon nach wenigen Tagen liefen von dem Volks- und Jugendschriftsteller Ferdinand Schmidt und anderen berufenen Männern die günstigsten Urtheile über die „Blumen der Wälder“ ein; auch erfreuten den Dichter ermunternde Briefe und Anerkennungszeichen aus dem Volke von nah und fern. Diese zahlreichen Boten des Beifalls ermuthigten den einfachen Mann, rüstig weiter zu schaffen, und das Wort: „Gehe vom Häuslichen aus und verbreite dich, so du kannst, über die Welt,“ das zufällig das erste war, was er in einem Exemplare von „Goethe’s Gedichten“ las, das er als Ehrengeschenk von dem Custos der königlichen Bibliothek in Berlin, Hofrath Dr. Friedrich Förster, erhalten hatte – dieses Goethe’sche Wort wirkte allgemach entscheidend auf den noch immer an seinem Dichterberufe zweifelnden Handwerksmeister. Und in reicher Fülle that sich der Born des „Häuslichen“ vor ihm auf. Seine Henriette, die sorgende, liebe und vertrauensvolle Gefährtin seines Lebens, sie wurde jetzt der Mittelpunkt seiner Dichtungen.

Frischen Muthes ging Weise, ohne sich ferner mehr um die Neider, Spötter und Splitterrichter seines Heimathsortes zu kümmern, an’s Werk und schuf in seinen Mußestunden, während die Hand der schnurrenden Drehbank treu blieb, seine „Handwerkerbraut“, welches Buch bald darauf im Selbstverlage des Dichters erschien.

Es war kurze Zeit vor Weihnachten, als die Erstlingsexemplare der neuen Dichtung Weise’s in die Welt hinausgesandt wurden, und selten wohl mag in einer Handwerkerfamilie das Weihnachtsfest fröhlicher gefeiert worden sein, als damals im Weise’schen Hause, als aus vielen Gegenden des Vaterlandes die begeistertsten Lobsprüche über die neue Dichtung eingingen.

So schuf er denn im folgenden Jahre fröhlich eine neue Dichtung „Das Weib des Handwerkers“, dem sich in der Folge das „Familienleben“ anschloß. Jetzt sind alle diese Dichtungen unter dem Titel „Familienleben in Dichtungen“ im Verlage von A. Goldschmidt in Pracht- und Volksausgabe erschienen und von der Kritik überaus günstig aufgenommen worden. Unter Andern hat Theodor Fontane dem „märkischen Hans Sachs“ in seinen „Wanderungen durch die Mark“ ein ehrenvolles Denkmal gesetzt, während Heinrich Kurz in seiner Literaturgeschichte sich über ihn höchst anerkennend ausspricht.

Eine Zahl neuerer Dichtungen hat der Freienwalder Volkssänger seither jenen älteren folgen lassen, so „Die Läuter aus dem Ruhlathale“, ein Sonettenkranz, „Die Volksharfe“, „Lorbeer und Rose“ (im Selbstverlage) und andere mehr. – Auch auf dem Gebiete der Volkserzählung hat sich Weise mit Glück versucht, wie die Schilderungen aus seinem Jugendleben, seiner Wanderzeit und seinen Meister- und Prüfungsjahren (Leipzig, Otto Spamer) und seine Erzählungen „Aus des Volkes Tiefen“ (Leipzig, Ambrosius Barth) beweisen. Nach Tausenden aber zählen seine bisher leider noch ungesammelten Festlieder, Prologe und Gelegenheitsgedichte, unter denen sicherlich viele werthvolle Perlen sich befinden. Während so unserem neuen Hans Sachs durch die schönen Erfolge seines dichterischen Schaffens ein hohes Glück zu Theil geworden ist, hat es ihm bei allem regen Fleiße und ernstem Streben nicht gelingen wollen, sich die Mittel zu erwerben, die ihm ein sorgenfreies Dasein jetzt in den Tagen seines Alters gewährten. Der allgemeine Druck, welcher in unserer Zeit der Maschinen und des Cigarrenrauchens, in der die wichtigsten Artikel der Drechslerei, das Spinnrad und die Pfeife, fast ganz aus der Mode gekommen sind, auf diesem Handwerkszweige lastet, hat sich auch in Weise’s bescheidenen Verhältnissen schwer fühlbar gemacht. Mangel an Beschäftigung hat ihn vor einigen Jahren gezwungen, die Drechslerei aufzugeben und sich der Arbeit mit der Feder ganz zu widmen, doch auch diese ist nicht von materiellem Erfolge gekrönt gewesen.

Durch das Wohlwollen eines Berliner Kaufmannes ist er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_297.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)