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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Muslime in Gesellschaft niemals sehen – bemerkte man seine grauen Haare nicht, und in der That: wenn er die kleidsame ägyptische Uniform trug, mußte seine herculische Gestalt neben der geschmeidigen, eleganten, aber doch etwas hageren Figur Abd-er-Raschid’s eine sehr günstige Wirkung thun.

Aber er sollte erfahren, daß die reife Kraft des absteigenden Mannesalters, wenn ihr andere Reize fehlen, im Kampfe mit dem Zauber männlicher Schönheit und Jugend nicht immer den Sieg davon trägt, daß die etwas zaghafte, naive erste Liebe eines schönen Jünglings stets reizvoller, mächtiger ist, als die vollbewußte, sogenannte letzte des schon alternden Mannes.

Als seine Toilette beendet war, verfügte sich der Bey in den Speisesaal, wo der ganze Harem versammelt war. Zu seiner Ueberraschung fand er auch Nefiseh dort; denn diese speiste sonst mit ihren Frauen in ihren Gemächern, weil Abd-er-Raschid sie nicht unverschleiert sehen durfte.

„Nefiseh hier und unverschleiert,“ dachte Ibrahim bei sich. „Die Damen wissen also, daß mein Sohn nicht erscheinen wird.“ Er hütete sich zu fragen, wo Abd-er-Raschid sei, da er wohl merkte, daß die Frauen eine solche Frage von ihm erwarteten und eine verfängliche Antwort darauf in Bereitschaft hatten. Man plauderte während der Mahlzeit freundlich und unbefangen mit einander. Wenn Ibrahim aber das Wort an die Frauen richtete, veränderten sie den Ton ihrer Stimmen, spitzten die Lippen und theilten knappe Antworten und lange, vorwurfsvolle Blicke aus. Ibrahim that, als merke er von alledem nichts, nicht die Abwesenheit seines Sohnes, nicht die mißbilligenden Blicke der Haremsfrauen und der alten, treuen Diener, nicht die bleichen Wangen und die müden Augen Nefiseh’s. – –

Mehrere Tage vergingen. Die Blicke der Frauen wurden immer vorwurfsvoller, ihre Antworten immer knapper, ihr Benehmen immer kühler. Frauen wissen genau, daß ein Mann vor einer solchen Taktik über kurz oder lang die Waffen streckt. Das that schließlich auch Ibrahim Bey.

Er mochte eingesehen haben, daß die bleiche Nefiseh sich nach dem fernen Geliebten sehne, daß seine, des Onkels, Nähe sie bedrücke, verstimme, schmerze; er mochte diese Entdeckung um so leichter gemacht haben, als Nefiseh von dem Augenblicke an ihn mit erfrierender Kälte behandelte, wo sie erkannt hatte, daß ihr Schmeicheln ihn nicht dazu bewog, ihr Abd-er-Raschid zum Manne zu geben. Von Tag zu Tage verhielt sie sich immer ablehnender gegen Ibrahim Bey. Die zürnenden Blicke, die sie ihm zuwarf, und die tiefe Trauer, welche Nefiseh um den Verschollenen sichtlich empfand, mochten ihn gerührt haben; immer und immer wieder, und zwar mit stetig wachsender Kraft, traten die verklagenden Gedanken an ihn heran, die ihm in jener unruhvollen Nacht nach der Unterredung mit seinem Sohne den Schlaf geraubt hatten; immer klarer sah er sein Unrecht ein; mit immer bangerem Zagen erfüllte ihn Abd-er-Raschid’s Schicksal und seine eigene Schuld. Wie, wenn er niemals wiederkehren würde, der geliebte Sohn? Wie schwer würde die Welt den grausamen Vater verurtheilen! Wie schmerzlich würde sein Vaterherz den Verlust des Stammhalters beklagen! Diese Erwägungen machten den gutherzigen Mann endlich wankend. Vielleicht auch hatte der stete, wenn auch stumme, doch hartnäckige Krieg des ganzen Harems die Widerstandskraft Ibrahim’s gebrochen, dem, als Orientalen, ein gemächliches Leben über Alles ging; kurz, nach etwa drei Wochen des Hauskrieges trat er in das Zimmer seiner Mutter.

„Mutter, ruft mir den trotzigen Knaben zurück!“ sagte er, nachdem er die alte Dame ehrerbietig begrüßt; „denn Ihr kennt gewiß den Weltwinkel, in dem er sich verbirgt.“

Ein leises Lächeln glitt über die freundlichen Züge der Alten; doch klang ihre Stimme streng, als sie erwiderte:

„Und Nefiseh?“

„Sie mag des Jungen Weib werden,“ sagte der Bey, nicht ohne die peinliche Verlegenheit des Besiegten.

„Aber Du selbst, Ibrahim?“ fragte ernst die Mutter.

„Ich?“ Er lachte bitter auf und sagte: „Ich werde mich an dem Glücke der Neuvermählten freuen, Mutter.“

„Ibrahim,“ rief die Greisin vorwurfsvoll und fixirte ihn ängstlich; „sieh mir in die Augen!“

Er aber verharrte mit gesenktem Blicke, und nun trat die gute, alte Frau leise zu ihm und flüsterte ihm etwas in’s Ohr. Ibrahim fuhr auf und machte mit den Armen leidenschaftliche Geberden, als wolle er etwas von sich wehren:

„Nein, ich liebe sie nicht mehr!“ rief er heftig.

„Gieb mir eine Bürgschaft!“ sagte die Greisin mit feierlichem Ernst; „sonst kehrt Dein Sohn nie und nimmer mehr in’s Vaterhaus zurück.“

Ibrahim machte einige Schritte durch’s Zimmer.

„Die Tochter Hassan-Pascha’s, die Braut Abd-er-Raschid’s,“ sagte er schnell entschlossen, „wird das Weib … Ibrahim Bey’s.“

Ein warmer Mutterkuß belohnte dieses Wort. – – –

Wochen waren in’s Land gegangen.

Im Hause Ibrahim’s schmetterten die Trompeten, erschallte Trommel- und Paukenschlag, klingelten die Goldmünzen an den luftigen Gewändern der sich verführerisch hin und her wiegenden Tänzerinnen. Hier sagten einige Fiki mit näselnden Stimmen Koranverse her; dort sangen im Garten, wo bunte Lampenguirlanden sich von Baum zu Baum schwangen, dunkle Lautenschlägerinnen verliebte Weisen; in der Mitte des Saales aber warfen schöne Mädchenhände Gold, Gerste und Salz[1] in die Höhe, und draußen vor dem Hause wurden Brod, Wasser und Datteln an die Armen vertheilt. Ueberall Hochzeitsjubel, überall frohes Lachen von Groß und Klein, von Reich und Arm. – Die reizende Nefiseh und der schöne Abd-er-Raschid schlossen heute den feierlichen Bund für’s Leben.

Unter lautem Jubel, wie der Landesbrauch es wollte, führten die Freunde am Schlusse des Festes den glücklichen Jüngling zur Thür der Brautkammer.

Innen, beim Dämmerscheine einer verhüllten, traulichen Lampe harrt seiner die Braut, harren seiner Großmutter und Mutter … Zögernd steht er vor der Thür, bis er, wie es die Sitte heischt, von Freundeshand in das bräutliche Gemach geschoben wird.

Nun tritt er vor die Verschleierte hin … Segenssprüche murmelnd, entfernen sich Mutter und Großmutter, und mit zitternder Hand hebt Abd-er-Raschid den golddurchwirkten Schleier seiner Schönen, wirft sich ihr zu Füßen und flüstert, das Antlitz in ihrem Gewande verhüllend, die erste Sure des Korans: „Lob und Preis Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts! Dir wollen wir dienen und zu dir wollen wir stehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg Derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg Derer, über welche du zürnest.“




Blätter und Blüthen.


Der Letzte vom Regiment. (Illustration S. 317.) Zum dritten Male führen wir unsere Leser vor ein Bild des schwedischen Genremalers Bengt Nordenberg in Düsseldorf. Die beiden früheren Holzschnitte nach seinen Oelgemälden waren: im Jahrgang 1870, Nr. 23, die figurenreiche Gruppe vor der Orgel „In einer schwedischen Dorfkirche“ und im Jahrgang 1871, Nr. 42 „Die letzte Reise“, ein winterlicher Begräbniszug. Heute läßt der Künstler uns in eine schwedische Familienstube blicken, in welcher ein alter Soldat das letzte Abendmahl empfangen hat und den Trostworten des jungen Predigers zuhört, indeß die Enkelin ihm mit dem Kopfkissen den Rücken stützt. Zwischen blühender Jugend der sterbende Greis! Damit der Gedanke an den Tod uns auch in der Umgebung nicht festhalte, zieht der hereinbrechende Sonnenstrahl unser Auge an und lenkt den Blick auf ein neues Bild frischerwachten Lebens, auf den Korb, in welchem junge Kätzchen ihr Spiel treiben. So zeigt sich hier schon der Charakter des „Soldatenleichenzugs“, der bekanntlich mit gedämpften Trommeln zum Grabe zieht, aber mit heiterem Spiele wieder heimkehrt.




Kleiner Briefkasten.


A. M. in R. Von Max Wirth’s „Grundzügen der Nationalökonomie“ ist die fünfte Auflage des 1. Bandes kürzlich erschienen; die vierte Auflage des 2. Bandes befindet sich unter der Presse. Ferner werden die dritte Auflage der „Geschichte der Handelskrisen“ und eine schwedische Uebersetzung der „Krisis in der Landwirthschaft“ desselben Verfassers demnächst zur Versendung kommen.

A. K. in O. Der Fall braucht nicht so schlimm zu sein. Wenden Sie sich an einen Gynäkologen in der Ihnen nächstliegenden Universitätsstadt!

B. L. M. Zur Beurtheilung von Gedichten fehlt uns alle Zeit. Dank für geschenktes Vertrauen!

C. F. K. Wir bedauern, von Ihrer freundlichen Offerte keinen Gebrauch machen zu können.

Ein alter Abonnent. Die Artikel „Aus deutschen Spielhöllen“ finden Sie im Jahrgang 1862[WS 1], Seite 217, 233, 253 und 1864, Seite 41 (Die Spielhöllen in Wiesbaden), 712 (Die Spielhölle in Wiesbaden).[WS 2]


Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Gold bringt nach dem mohammedanischen Glauben Glück, Gerste Fruchtbarkeit, und Salz wendet das böse Auge ab.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1872
  2. Titel „Die Spielhölle(n) in Wiesbaden“ ergänzt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_320.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)