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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Jagfische und Seehasen.

Mit Illustrationen von G. Mützel.

Seehasen als Kavallerie.

Die Tiefen des Meeres waren seit jeher der bevorzugte Sitz märchen- und sagenhafter Wesen, welche sich die Phantasie der Völker schuf. Schönes und Häßliches, Meergöttinnen und Ungeheuer, fanden eine sichere Zufluchtsstätte in dem kühlen Grunde, in den das Auge der Sterblichen niemals dringen konnte. Manchmal nur tauchten sie empor, um Verderben den Wesen zu bringen, die da athmeten in rosigem Licht.

Als später die Zeit nahte, in der die Wissenschaft emporblühen sollte, da wurden zwar die Sagen ihres poetischen Gewandes entkleidet, aber auch die ersten „Gelehrten“ waren redlich bemüht, auf Grund flüchtiger Beobachtungen und falscher Berichte Fabeln zu schmieden, die lange in den Köpfen der Nachwelt spukten.

So berichteten die Römer von einem Fische, der im Stande sein sollte, sich an Schiffe anzuheften und dieselben in ihrem Laufe aufzuhalten, und spätere Reisende, wie Colombo, Dampier, Geßner und Andere wußten dieses schöne Geschichtchen noch interessanter zu gestalten. Da erzählt z. B. der Letztgenannte: „Nicht anderst dann wie man bey uns die Hasen auff weitem Feld sähet mit jagdhunden, Item die vögel mit dem Habich oder Stoßvogel, also sahen auch etliche Völcker in frembden Inßeln die Fisch des weiten Meers, durch andre Fisch so zu solcher arbeit genaturt und gewönet sind.“ Diese interessante „Jagd“ sollte nun auf die Weise ausgeübt worden sein, daß man den „Jagfisch“ an einem Seile festband und ihn auf Fische und Schildkröten losließ. Sofort packte das Ungeheuer seine Beute und ließ sie nimmer los, sodaß es mit derselben heraufgezogen werden konnte. Ich las vor Kurzem ein neu herausgegebenes kleines Handbuch der Zoologie, in dem dieses Märchen aufgewärmt wird, obwohl Brehm in seinem klassischen „Thierleben“ längst gegen dasselbe geeifert hat.

Den „Jagfisch“ jener „etlichen Völcker in frembden Inßeln“ kennen wir nicht, denn Niemand hat ihn gesehen, wohl aber denjenigen Fisch, von dessen Kraft die Alten Wunder berichteten und der noch heute den ihm gar nicht zukommenden Namen „Schiffshalter“ trägt. Er wird nicht groß, höchstens dreißig Centimeter lang, und ist von allen seinen Klassenverwandten leicht zu unterscheiden durch eine sonderbar geformte Scheibe, die auf seinem Kopfe wie ein Deckel aufliegt. Vermittelst dieser Scheibe kann er sich an allerlei feste Gegenstände, andere Fische, Schiffe, Holzstücke etc. ganz fest „ansaugen“ und bewerkstelligt dies in folgender Weise: Seine „Saugscheibe“ besteht aus vielen Querrunzeln, die mit feinen Zähnchen besetzt sind. Ihren glatten Rand preßt nun der Fisch an die Fläche, an der er haften will, fest an, erhebt dann die einzelnen inneren Querblättchen, bildet so zwischen der Scheibe und dem Schiffskörper oder Holzstück einen luftleeren Raum und wird durch den Druck des Wassers an den betreffenden Gegenständen festgehalten.

Mit ähnlichen Vorrichtungen sind auch andere Fische, namentlich die Scheibenbäuche, ausgerüstet, zu deren vornehmsten Repräsentanten die originellen Lumpfische oder Seehasen zählen. Dem interessanten Treiben dieser recht humoristisch ausschauenden Geschöpfe kann jetzt auch der Bewohner des Festlandes in aller Muße folgen, da sie zu ständigen Gästen unserer großen Aquarien gehören.

Ihre Saugscheibe führen sie nicht auf dem Kopfe, sondern unten am Bauche, wie dies auf unserer zweiten Abbildung angedeutet ist, auf der ein Seehase dargestellt ist, der an der Scheibe des Aquariums haftet. Die Heimath der Seehasen sind alle nördlichen Meere, namentlich aber die Nord- und die Ostsee. Sie erreichen eine Länge von etwa 60 Centimeter, wiegen in der Regel drei bis vier, in seltenen Fällen sechs bis sieben Kilogramm.

Wenn der Name immer für den Träger desselben charakteristisch wäre, so müßte man glauben, daß die Seehasen sich unter den vielen Bewohnern des nassen Elementes durch besondere Beweglichkeit auszeichnen. Das ist aber nicht der Fall; im Gegentheil, der Seehase macht seinem Namen keine Ehre, er ist ein schlechter Schwimmer und ein träges, faules Geschöpf. Mögen andere nach Nahrung schwimmen, ihm fällt das nicht ein; er straft das Sprichwort Lügen und läßt sich die gebratenen Tauben ins Maul fliegen. Fest klebt er an einem Orte und sperrt den Rachen auf, um an ihn herankommende kleinere Thiere zu verschlucken; wochenlang sitzt er still, bis ihm selbst Tangranken auf der Stirn anwachsen und seinem possirlichen Gesichte einen gar phantastischen Schmuck verleihen. Nur wenn die Strömung ihm keine Nahrung zuführen will, schleicht er sich langsam an einen anderen Fisch oder Krebs heran, saugt sich an dem Rücken desselben fest und durchreitet wohlgemuth die Gründe des Oceans, von Zeit zu Zeit das hungrige Maul aufsperrend.

Es giebt aber noch einen Trieb, dem selbst der Seehase nicht widerstehen kann und unter dessen Einfluß er gar lebendig wird. Mit dem Eintritt der wärmeren Jahreszeit, gegen den Monat März hin, da ändern sich Färbung und Wesen der Seehasen. Der sonst schwarzgräuliche Fisch schimmert in röthlichem Glanze; er hat sein Hochzeitskleid angethan.

Seehase an der Scheibe des Aquariums haftend.

Nun ziehen die Liebespärchen an geeignete Küstenorte, um den Laich niederzulegen und das Ausschlüpfen der jungen Brut abzuwarten. Fruchtbar sind sie unter den Fischen, wie unsre Landhasen unter den Säugethieren, denn man berechnet die Masse der von einem Weibchen gelegten Eier auf Hunderttausende. Und besser sind sie, was den Familiengeist anbelangt, als ihre Namensvettern in Feld und Flur, denn der Seehase schützt seine Brut und kämpft, von Vaterliebe entflammt, selbst mit dem grimmigen Seewolfe. In wenigen Wochen ist das Brutgeschäft vollendet; die ausgeschlüpften Jungen setzen sich auf dem Rücken des Vaters fest, der sich nunmehr mit der theueren Ladung nach tieferen und sichereren Gründen begiebt.

Feinde, die ihm nachstellen, hat auch der Seehase, denn wer hätte sie nicht in diesem irdischen Leben, in dem der Kampf ums Dasein unaufhörlich seine Opfer fordert. Der große Thiervertilger, der Mensch, stellt ihm allerdings wenig nach, da nur bei den Isländern das gesalzene Fleisch dieses Fisches als Leckerbissen gilt. Dafür reißt der Seehund tiefe Lücken in den Reihen der Seehasen, sodaß man auf Grund des zufälligen Wortspiels wehmüthige Betrachtungen anstellen könnte über das traurige Schicksal der Familie „Lampe“ zu Lande und zu Wasser. –i.     


Blätter und Blüthen.

Alfred Meißner †. (Mit Portrait S. 417.) Es war ein glückliches Dichter-Kleeblatt, das der Bodensee um die Mitte der siebziger Jahre verband. Im Jahre 1869 hatte Alfred Meißner Bregenz zum ständigen Wohnort erwählt; 1872 schlug Viktor von Scheffel seinen Sitz in Radolfszell auf, und zwei Jahre später ließ Gustav von Meyern-Hohenberg sich in Konstanz nieder. Der Letztere pries mir mehrmals die Freuden ihrer Zusammenkünfte, und leider mußte er der Erste sein, dessen Blatt abbrach; im Jahrgang 1879 hatte die „Gartenlaube“ dem Dichter des „Heinrich von Schwerin“ und des „Teuerdank“ das Grab zu schmücken. Und jetzt ist das zweite Blatt gefallen: am 29. Mai starb Alfred Meißner. Nun weht nur noch eins der drei Dichterblätter am Bodensee, das jüngste und doch auch schon hart am sechzigsten Jahr. Möge ihm noch lange wohl sein!

Wir haben Alfred Meißner in Bild und Wort schon 1867 (S. 68) unseren Lesern vorgeführt, und im vorigen Jahrgange (S. 550 und 556) das Wesentlichste aus seinem jüngsten Werk „Geschichte meines Lebens“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_435.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)