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Millner, der in bayerischen Gebirgsscenen excellirt, nicht unerwähnt lassen. Sein Gosausee bringt diesen tiefgrünen einsamen See, auf den das Schneehaupt des Dachsteins herabschaut, ebenso schön zur Anschauung, wie ein anderes grösseres Gemälde von ihm den kleinen, weltverlassenen Obersee bei Berchtesgaden mit den schroffen mächtigen Felsenmassen, die ihn umgeben. Anderes übergehe ich. Natürlich sind nicht alle diese Landschaftsgemälde von gleichem Werte, doch befindet sich darunter, wie ich glaube, keines, das einer ausgewählten Sammlung zur Unehre gereicht.





X.


Von den Landschafts- zu den Architekturmalern leitet uns der unlängst verstorbene Friedrich Kirchner[1] hinüber. In seinem Garten Giusti zu Verona hat er diese prächtige Anlage, sowie die Aussicht, deren man von dort aus geniesst, zu einem Gemälde von ungemeinem Reiz benutzt. Von der Höhe des Gartens, der mit seinen Cypressen, Lorbeeren und Myrten dem von den Alpen Herabgestiegenen den ersten vollen Eindruck des Südens bietet, schweift das Auge auf das Häusermeer, die Zinnen und Türme der weitausgedehnten Stadt des Dietrich von Bern hinab, welche fast noch mehr, als irgend eine andere, das Gepräge des Mittelalters bewahrt hat. In der Präcision, mit welcher die Umrisse der Gebäude hervortreten, wie in der charakteristischen Behandlung der Vegetation, bekundet sich das zwiefache Talent des Künstlers. – Ganz auf dem Boden der Architekturmalerei steht sein grosser, höchst glänzender Prospekt von Venedig.

Die wunderbare Lagunenstadt ist von jeher das Eden der Architekturmaler gewesen: auf keinem Fleck der Erde sind so viele interessante Gebäude, so viele schön gruppirte Häusermassen zusammengedrängt, wie hier; und dabei hat es der Künstler, wie es für ihn nötig, nicht bloss mit den toten, wenn auch noch so schön geformten Steinen zu thun. In ihrer reichen architektonischen Erscheinung mögen die venezianischen Paläste und Kirchen an manchen Bauten der Araber, sowie auch an den gotischen Kathedralen des Nordens, ihresgleichen finden; das jedoch, worin sie einzig dastehen, ist ihre Lage bald an plätschernden, ihre Thorschwellen bespülenden Kanälen, neben Gärten von Immergrün, die, auf Pfählen über dem Wasser schwebend, sich in den Wellen spiegeln, bald an leichtgeschwungenen Brücken, oder neben schlanken Glockentürmen, die über sie emporsteigen. Man kann während ganzer Monate täglich das Labyrinth dieser Gassen durchstreifen, auf allen diesen Plätzen und Plätzchen Umschau halten, und wird gewiss doch immer von neuem malerische Aussichtspunkte entdecken. Fast ein Jahrhundert lang haben Canale und die Canalettos die Dogenstadt in dieser Hinsicht ausgebeutet: allein die Fundgrube ist bei weitem noch nicht erschöpft, und es lässt sich noch eine reiche Nachlese halten. So ist auch der Standpunkt, welchen Kirchner für seine Aufnahme gewählt, von früheren Künstlern, meines Wissens, wenig benutzt worden, obgleich er einer der ergiebigsten ist. Man sieht vor sich die Piazetta mit den sie einschliessenden Seitengebäuden, dem märchenhaften Dogenpalaste, der aus dem Morgenlande herübergeschwommen zu sein scheint, dem zauberhaften Kuppelbau von St. Markus mit den Trophäen Heinrich Dandolos: den ehernen Rossen des Lisippus; auf der anderen Seite den unteren Teil des Campanile und die bewunderungswürdige


  1. Anmerkung WS: Gemeint ist wahrscheinlich Albert Emil Kirchner, geboren am 13. Mai 1813 in Leipzig, gestorben am 4. Juni 1885 in München.