(Hier konnte ich nicht mehr schweigen; ich mußte rufen: Du bist frivol, Emil!)
Und du bist ein Schwurbrecher! entgegnete dieser, dann fuhr er fort: Meine Prüfung hatte einen märchenhaften Erfolg. Kaum, daß ich eine Zeile russisch gelesen hatte, erhob sich die ganze Versammlung von Hemden und brach in ein wildes Beifallsgetobe aus. Dann stürzte alles auf mich zu und gestikulierte enthusiastisch um mich herum. Die Attentäterin aber, ein großes knochiges Frauenzimmer, drückte meinen Kopf an ihre Brust und küßte mich auf den Scheitel. Kaum, daß ich diesen, wie ich gestehe, heftigen Schreck verwunden hatte, lag mein Kopf an einem anderen Busen und wurde mein Scheitel der Berührung zweier anderer heißer Lippen teilhaftig, und so fort, bis ich von allen abgedrückt und abgeküßt war. Der letzte Kuß aber brannte am wohligsten, – ich blickte auf und sah die Bernsteinaugen über mir. Da konnte ich mich nicht halten, faßte das Mädchen um die Mitte ihres Leibes und küßte es mit wütendem Entzücken auf den
Otto Julius Bierbaum: Die Haare der heiligen Fringilla. München: Albert Langen, 1904, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Haare_der_heiligen_Fringilla.djvu/100&oldid=- (Version vom 31.7.2018)