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von der freien Liebe, glaubte ihr und rannte ihr nach, besinnungslos, selig besinnungslos im Glauben an eine Welt der Erfüllung aller Sehnsucht Leibes und der Seele. Freie Liebe, – weißt du was das heißt im Blute eines phantastischen jungen Mädchens? Als ich nach Zürich reiste, glaubte ich nach Arkadien zu fahren in die Arme strahlender Helden, in ein Leben verschwenderischen Genusses, überströmender Exaltation der Sinne und Gedanken. Ich kannte die Liebe noch nicht, aber ich machte mir in unsagbaren Gefühlen wollüstiger Sehnsucht ein Bild von ihr, so überschwänglich beglückend, daß ich dafür noch mehr verlassen haben würde, als ich in Wirklichkeit verlassen habe. – Und nun, mein lieber Schiller, stelle dir mein Erwachen in Zürich vor! Die Bauern holten mich in ihren Hemden ab und führten mich, ihre sentimentalen Lieder brüllend, in eine schmierige Wohnung, in der es nach Schnaps, Käse und schlechten Zigaretten roch. Sie feierten mich als eine russische Jungfrau von Orleans, aber als eine, die von der Höhe

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Otto Julius Bierbaum: Die Haare der heiligen Fringilla. München: Albert Langen, 1904, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Haare_der_heiligen_Fringilla.djvu/112&oldid=- (Version vom 31.7.2018)