Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band | |
|
Bäumen des Südens standen da und dort. Die Art, wie die Bevölkerung Americas für die Ruhestätte ihrer Todten sorgt, prophezeit ihr ein langes Leben auf Erden.
Auf dem neuangelegten Begräbnißplatz sah ich bloß zwei Denkmäler; aber sie hatten jedes eine so eigenthümliche und so verschiedene Geschichte, daß ich sie Dir mit wenigen Worten erzählen muß.
Das eine gehört einem jungen Mädchen. Sie war ihrer Mutter einziges Kind. Eines Tags berührte sie ihr eines Auge mit der Hand, welche kurz zuvor eine giftige Blume, hier Nachtschatten genannt, berührt hatte (solanum nigrum, das eine schöne hellgelbe Blüthe, ähnlich unserer Kartoffelblüthe, hat), und so geschah es, daß ihr Auge vergiftet wurde. Es wuchs aus und wurde unförmlich. Das Gewächs und die damit verbundenen Schmerzen zehrten am Leben des jungen Mädchens. Sie welkte hin, aber schön und fromm. Ihr Leiden und ihre Geduld machten sie zum Gegenstand der allgemeinen Liebe. Sie und ihre Mutter verwandelten durch die Kraft der Religion die Wanderung zum Grabe in einen freundlichen Weg, und der Nachtschatten bekam keine Macht über sie. Nach zweijährigen Leiden starb sie, wie ein guter Engel sterben könnte, und ihr Grab wird von freundlichen Erinnerungen umgeben.
Die zweite Gruft gehört einem jungen Manne. Er war Offizier der americanischen Armee während des Krieges in Texas oder in Mexico, ich erinnere mich nicht recht, in welchem von beiden Ländern. Eines Tags saß er mit einem Kameraden bei Tisch, als er die Aufforderung erhielt zum commandirenden Offizier zu kommen. In jugendlichem Leichtsinn oder Uebermuth sagte er: „Der Teufel soll mich holen, wenn ich gehe,“ oder irgend einen ähnlichen Ausdruck. Aber er ging gleichwohl. Die unbesonnene Bemerkung wurde dem Chef hinterbracht.
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Dritter_Band.djvu/370&oldid=- (Version vom 13.9.2022)