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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band

Den 18. Juni.  

Ich habe gestern und heute eine ganze Menge freundlicher Besuche und ditto Einladungen erhalten. Unter den letzteren war auch eine Einladung auf ein Landhaus in der Nähe der Stadt, die ich für die Zeit meiner Rückkehr von Charlotteville sogleich annahm, so wohl gefielen mir die Personen, von denen sie ausging, eine Mrs. van Lee (Wittwe) und ihre Tochter; so viel seelenvolle Güte und Zartheit des Gefühls strahlte aus ihren sanften Gesichtern. Die Tochter, eine anmuthsvolle, bleiche Blondine, äußerte sich über den Zustand der Sklaven mit einer Theilnahme, die mich sogleich zu ihr hinzog.

Sie führte mich gestern zu Wagen in Richmonds schönen Umgebungen spazieren. Zu ihnen gehörte der große parkartige Kirchhof mit Anhöhen und Thälern. Die ganze Gegend von Richmond bietet einen reichen Wechsel von Hügeln und Thälern, und überall ist der St. Jamesfluß ein bedeutender und erfrischender Zug in der Landschaft, die er in mannigfachen Biegungen und Krümmungen durchschneidet. Obschon wir demnächst in der Mitte des Sommers sind, war es doch so kalt, daß ich in dem offenen Wagen ordentlich fror, und die Luft war hart und scharf.

Hernach fuhren wir nach einer großen Tabaksfabrik, denn ich wünschte die Einrichtung zu sehen, wo Virginiens Hauptproduct verarbeitet wird. Hier hörte ich die Sklaven (ungefähr hundert an der Zahl) während ihrer Arbeit in großen Sälen vierstimmige Choräle singen. Sie sangen so rein und so vollkommen harmonisch, daß ich kaum glauben konnte, daß sie Autodidacten waren. Und dennoch war es so. Gott hat diesen armen Geschöpfen die Gabe des Gesanges zum Trost in ihrer Prüfungszeit verliehen. Und ihr Leben

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Dritter_Band.djvu/381&oldid=- (Version vom 13.9.2022)