Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band | |
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scheiden soll, so gilt die Thräne, die ich im Herzen und im Auge fühle, nicht bloß dem Schmerz. Es ist so angenehm zu lieben!
Octavia Le Vert fuhr vor einigen Tagen zu den Ihrigen zurück. Die Augen, die trocken und kalt geblieben waren, als sie in Gefahr stand alle ihre Schmucksachen und ihr Geld zu verlieren, schwammen jetzt, da sie sich von einer neu erworbenen Freundin trennen sollte, in Thränen. Ich küßte die Thränen von den bleichen Wangen weg. Ich fühlte, daß ich sie recht herzlich liebe.
Mrs. Geddes war unvergleichlich gegen mich in dieser Zeit, wo ich verschiedene Toilettengeschäfte zu meiner passenden Ausrüstung nach Cuba (sie muß zugleich etwas elegant und sommerleicht sein) und dabei allerlei Widerwärtigkeiten hatte, verursacht theils durch Modehändlerinnen, theils und zwar meistentheils durch meine eigenen Fehler. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie gut, wie angenehm, wie unermüdlich dienstfertig und hülfreich sie mir dabei beständig war, wie nett und artig sie mir in allem geholfen hatte. Du weißt, wie unangenehm es mir gewöhnlich ist, mich mit solchen Dingen zu befassen, aber Du kannst Dir kaum vorstellen, wie ich es hier empfinde, wo geistige und körperliche Müdigkeit, sowie Unbekanntschaft mit den Preisen und Personen in der Modenwelt alle Schwierigkeiten verdoppeln. Aber Du kannst Dir auch nicht vorstellen, wie gut und liebenswürdig Mrs. Geddes bei all diesen großen und kleinen Bekümmernissen gegen mich war, wie viel Geduld und gute Laune sie zeigte; wahrhaftig ich schäme mich, wenn ich mich mit ihr vergleiche.
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Dritter_Band.djvu/77&oldid=- (Version vom 20.8.2021)