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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

Freunden in Boston und fragte nach einem homöopathischen Arzt. Eine freundliche, schöne, ältere Dame, Mrs. Clarke, die Mutter der stattlichen Söhne, versprach mir einen Arzt zu schicken. Als ich zur Mittagszeit nach einem Spaziergang in meinen Salon kam, stand da ein hochgewachsener alter Herr mit blassem, charakterstarkem Gesicht, hoher Stirne, kahlem Scheitel, silbergrauem Haar und ein Paar tiefen blauen Augen voll Gefühl und Ernst. Still stand er in seiner schwarzen Kleidung mitten im Zimmer mit beinahe priesterlichem Aussehen und den durchdringenden ernsten Blick auf mich geheftet. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es kam so, daß ich vom ersten Augenblick an Vertrauen und Ergebenheit für ihn faßte. Ich ging auf ihn zu, nahm seine Hand zwischen die meinige, schaute ihm in sein blasses, ernstes Gesicht und sagte: „Helfen Sie mir!“ So hilflos, so redlos und arm habe ich mich jetzt eine Zeit lang gefühlt unter der Macht eines mir fremden Leidens, das mich an Seele und Leib lähmte, und allein im fremden Lande, ohne eine andere Stütze als meine Seelen- und Körperkräfte, um das Unternehmen durchzuführen, das ich mir vorgesetzt. Er antwortete mit tiefer Baßstimme, indem er langsam, gleichsam mit einiger Mühe sprach. — — Ach mein Kind, es könnte leicht sehr eitel klingen, wenn ich erzähle, was er antwortete; aber laß mich, dießmal eitel erscheinen. Er sagte: „Miß B.! Niemand kann Ihre „Nachbarn“ gelesen haben, ohne den Wunsch zu hegen, Ihnen zu helfen! und ich hoffe Ihnen helfen zu können.“ — Ich weinte, ich küßte die magere, knochige Hand, die ich hielt, gleich als hätte ich die Hand eines väterlichen Wohlthäters küssen können; ich, fühlte mich weich wie ein Kind. Er gab mir ein weißes Pülverchen, das wie Nichts aussah, und das ich vor Schlafengehen nehmen sollte. Ich nahm es, schlief vortrefflich, und am andern Tage — ach welch ein Gefühl!

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/182&oldid=- (Version vom 9.9.2019)