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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band

Unter den Männern in Washington habe ich mehrere Bekannte von ungewöhnlichem Interesse, und von ihnen will ich Dir weiter erzählen, wenn wir wieder beisammen sind. Interessante Frauenzimmerbekanntschaften habe ich außer dem Hause hier nicht gemacht mit Ausnahme von Miß Dix. Eine wirklich begabte junge Dichterin Miß C. ist für meinen Geschmack zu sehr Amazone und als solche nicht edel genug. Sie besitzt Herz und Geist, aber sie hat einen verwilderten Geschmack. Würde ich sie mehr sehen, so könnten wir vielleicht uns einander nähern. Für jetzt gleicht unsere Annäherung so ziemlich dem Caramboliren von Billardbällen. Die Schilderungen, die sie während der Congreßsitzungen in einem der Journale der Stadt von den Mitgliedern des Congresses und von den Verhandlungen auf dem Capitol entwirft, sind glänzend, kühn, oft schlagend, aber ermangeln zuweilen der obengenannten Eigenschaft, die ich an ihr vermisse. Sie erregen hier ein wohlverdientes Aufsehen. Eine andere, ebenfalls wohlbegabte Schriftstellerin, die durch ihre Romane Aufmerksamkeit zu erregen begonnen hat, bleibt zu sehr in sich selbst eingehüllt. Mrs. P. und Mrs. W. gefallen mir wohl, aber ich habe so wenig Zeit, um selbst nur solche Personen zu sehen, welche mir gefallen. Ich erblicke täglich im Senat auf der Zuhörergallerie eine Menge eleganter Toiletten und mehrere schöne Gesichter, die blos da zu sein scheinen, um sich zu zeigen. Immer und immer mußte ich bei Betrachtung dieser schönen Gesichter über den Ausdruck derselben still vor mich hin sagen: „Wie unbedeutend!“ Und unwillkürlich, aber unabweislich drängt sich mir immer stärker die Ueberzeugung auf, daß die amerikanischen Frauen im Allgemeinen den guten Ruf nicht verdienen, den einige europäische reisende Herren ihnen verschafft haben. Ich wollte, es wäre anders. Aber die schönen Exemplare, die ich hier von weiblicher Würde und Anmuth gesehen habe, machen mich in

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Zweiter_Band.djvu/126&oldid=- (Version vom 4.8.2020)