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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band

innerer oder ausländischer Politik zu ergreifen sind, von dessen Willen Friede oder Krieg, Nationalehre oder Unehre abhängen kann; ein solcher Bürger muß in Bezug auf Fähigkeit, Kenntnisse und Weisheit im Vergleich mit einem russischen Leibeigenen oder einem hinduischen Paria wie ein Gott sein. In dieser Zeit sage ich gibt es für die Seele des Menschen unendlich mehr zu thun und zu verstehn, als je zuvor, und deßhalb muß die Seele im Verhältniß dazu gestärkt und aufgeklärt werden.

„Es gab nie eine Zeit, wo die moralische Natur eines Menschen mehr der Kultur und Läuterung bedurfte, als sie es im gegenwärtigen Augenblick bedarf. Was wir Civilisation und Fortschritt nennen, hat die Versuchungen tausendfach — in diesem Land zehntausendfach vermehrt. Die Ringbahn für Reichthum, Luxus, Ehrgeiz, Hochmuth, steht Allen offen. Mit unsern vielfachen Privilegien sind nicht blos vielfache Pflichten gekommen, welche wir verleugnen können, sondern auch vielfache Gefahren, in welche wir fallen können. Da wo Druck und Despotismus obwalten, sind alle edleren Fähigkeiten des Menschen verkrüppelt, erloschen, ihrer Macht beraubt. Aber Druck und Despotismus schwächen auch die Macht der bösen Leidenschaften des Menschen eben so gut wie die der edleren Triebe. In diesem Land hat Alles, was im Herzen des Menschen Gemeines und Verdorbenes ist, eine so volle Freiheit, einen so großen Wirkungskreis, eine so heiße Triebkraft, wie man dieß nie zuvor gekannt hat. Schlechtigkeit wie Tugend, Teufelei wie Menschenliebe führen ihre Dampfmaschinen, ihre Machtpressen, ihre elektrischen Telegraphe mit sich. Die äußeren, zurückhaltenden Kräfte blinder Verehrung für die Auktorität, blinder Furcht vor Religionslehrern und vor grausamen Strafgesetzen, welche früher die wilden Leidenschaften der

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Zweiter_Band.djvu/451&oldid=- (Version vom 20.8.2021)