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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band

Hat die Poesie wohl ein freundlicheres als das erstere, und ein düstereres als das letztere?

Den 21. Dezember.  

Der Missisippi fließt grau, trübe und breit, immer breiter, immer trüber meine ich, unter einem herbstgrauen naßkalten Himmel. Seine Wasser schwellen und steigen in dieser Zeit mit jedem Tage höher. Ueberall sind die Ufer niedrig und morastig, dabei mit cotton woods und Cannebrakes bedeckt. Auf dem Missisippi schwimmen große Zimmerblöcke und alle möglichen Dinge, die von Wracken und Zerstörung erzählen. Der große Fluß scheint mir eine Sündfluth zu sein und er hat auch ein großes Sündenregister. Aber unsre stattliche Arche Noä, die noch kosmopolitischer ist, als ihre älteste Vorgängerin, schwimmt auf den Wogen des großen Kosmopoliten Missisippi mit ruhigem Gewissen dahin und ist ein so angenehmer Platz, daß ich, obschon ich mitunter an Sündfluth und des Missisippis Sündenregister, sowie an Sotos Schicksal in diesen Gegenden denke und an der düstern Ländschaft, dem dunkelgrauen und dem gleichfarbigen Himmel den Stempel seines Geistes erblicke, gleichwohl mich ganz leicht und wohlgemuth fühle. Es schmeichelt mir, daß ich als Weltbürgerin von dem großen Weltbürger getragen werde, und es schmeichelt mir, daß ich jetzt seine geographische Geschichte bis an sein Ende kennen lerne, daß ich sodann das schöne Cuba und das Leben der tropischen Zone sehen werde, und darum denke ich — gar mancherlei Gedanken! …

Alles an Bord ist still und geht in Ordnung und Ruhe vor sich. Vormittags bin ich für mich selbst, lese ein wenig amerikanische Geschichte und Buchanans Journal of man und lasse meine Gedanken mit dem Strom auf den Ozean hinausfahren. Nachmittags

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Zweiter_Band.djvu/517&oldid=- (Version vom 20.8.2021)