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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band

waren fein, mager oder vielmehr dürr, sie sahen, wie mir schien, auch innerlich trocken aus. Aber darin kann ich mich täuschen. Soviel ist gewiß, daß ich nach etwas Leben, etwas Eigenthümlichkeit, nach etwas Individualität sowohl im Innern als im Aeußern dürstete. Die Quäckerinnen sind auch alle gleich gekleidet. Aber welche klar ausgeprägte Eigenthümlichkeit liest man nicht in ihren Gesichtern! Hier dagegen war das Einerlei charakterlos. Die Einfachheit war einförmig und langweilig. Mrs. Geddes hatte ich nicht entdeckt.

Ich sagte es Harrison, als er sich neben mich zum Frühstück setzte.

„Wenden Sie sich um,“ sagte er, „sie sitzt am Tisch hinter Ihnen“ (NB. wir aßen an langen schmalen Tischen). Ich wandte mich um und traf ein sanftes, ovales, etwas blasses Gesicht mit tiefen schönen Augen und einer klaren Stirne, über welcher das dunkelbraune Haar glatt die Schläfe hinabgekämmt war. Es war Mrs. Geddes. Sie war wie die andern Damen gekleidet, aber in kostbare schwarze Seidensersche; ihr Haar war gleich dem der andern gemacht und dennoch war ein großer Unterschied; sie schien mir etwas steif, aber nicht trocken, sondern sanft und edel.

Ich machte ihre nähere Bekanntschaft am Christabend, sowie am Abend des Christtags, den ich in Gesellschaft in dem großen Salon mit einem Theil der Bewohner des Hotels Saint-Charles zubrachte, und sie gefiel mir ungemein. Sie hat die feinen regelmäßigen Züge, welche der amerikanischen weiblichen Schönheit angehören, und damit verbindet sie die ruhige Haltung, die bescheidene würdevolle Anmuth, die man bei den Schönheiten der neuen Welt nicht so oft trifft. Mr. Geddes, der viel älter ist als seine schöne Frau, hat ein lebendiges Gesicht, das große Charakterkraft verräth, und ist ein starker Swedenborgianer, weßhalb ich voraussehe, daß wir über den Propheten in Streit

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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Zweiter_Band.djvu/535&oldid=- (Version vom 20.8.2021)