Büchlein, von Professor Dr. Rohling geschrieben, erlebte in kurzer Zeit mehrere Auflagen und wurde in andere Sprachen übersetzt. Durch Belegstellen aus dem Talmud hat Dr. Rohling nachzuweisen versucht, daß nicht bloß der Wucher, sondern noch ganz andere Dinge den Juden gegenüber den Christen und den übrigen Nichtjuden gestattet seien. Das scheint man übrigens schon im dreizehnten Jahrhunderte entdeckt zu haben, denn als im dreizehnten Jahrhunderte von kirchlichen Synoden die Verfügung getroffen wurde, es sei an allen Sonn- und Festtagen der Kirchenbann gegen die notorischen Wucher, Blutschänder, Ehebrecher, Wahrsager, Räuber u. s. w. zu verkündigen, da wurden die Inquisitoren auch auf den Talmud aufmerksam gemacht, worin derartige Dinge für die Juden als erlaubte oder gar verdienstliche Werke hingestellt seien. Die Juden wehrten sich dagegen und veranlaßten selbst eine Untersuchung. Jüdische Gelehrten wiesen, um den Vorwurf des Wuchers abzuwehren, aus dem Talmud nach, daß derselbe für die Israeliten das Verbot enthalte, von Nichtjuden höhere Zinsen zu nehmen, als zum Lebensunterhalt erforderlich sei. Der Grund, warum man dieses Verbot aber in damaliger Zeit nicht beachtete, lag nach ihrer Annahme darin, daß die Israeliten bei den hohen Steuern, die sie entrichten mußten, allen Zinsgewinn als zum Lebensunterhalt erforderlich betrachteten.
In einer Besprechung zwischen Christen und Juden, die damals in Gegenwart des heiligen Königs Ludwigs stattfand, und deren Protokolle uns zum Teile noch erhalten sind, handelte es sich hauptsächlich um die Frage, ob im Talmud von Jesu Christo in unehrerbietiger Weise gesprochen werde. Der Wortführer der Juden, Rabbi Jechiel von Paris, bestritt es mit aller Entschiedenheit und wies darauf hin, daß der Jesus, von welchem der Talmud spreche, ein Schüler des Rabbi Josua ben Perachia sei, welcher mindestens 120 Jahre vor Christus gelebt habe. Die im Jahre 1244 in Paris auf königlichen Befehl eingesetzte Kommission, welche den Talmud zu prüfen hatte, hielt nichtsdestoweniger an ihrer Überzeugung von dem gotteslästerlichen Inhalte desselben fest, und auch der Papst ward hiervon in Kenntnis gesetzt. In dem nämlichen Jahre noch und wiederholt im Jahre 1248 wurden ganze Karren von Talmudexemplaren zu Paris, noch später auch viele Exemplare in Toulouse dem Feuer übergeben. Nur dem heiligen Könige Ludwig IX. hatten es die Juden wohl zu danken, daß sie nicht auch selbst mit dem Talmud ins Feuer geworfen wurden, denn er hatte verboten, ihnen etwas zuleide zu thun. Die Juden bewiesen sich aber auch dankbar für den königlichen Schutz und steuerten zu dem von dem Könige beabsichtigten Kreuzzuge große Summen bei. Dem frommen Könige lag es mehr am Herzen, die Juden zu bekehren, als sie zu verbrennen. Als zu Paris einem bekehrten Juden in hochfeierlicher Weise die heilige Taufe gespendet wurde, war auch ein Abgesandter des damaligen Dey von Tunis zugegen, aus dessen Äußerungen hervorging, daß auch der Dey mit dem Gedanken umgehe, ein Christ zu werden. Diesem Gesandten gegenüber äußerte damals König Ludwig: „O, könnte ich Eurem Herrn die unschätzbare Gnade der heiligen Taufe verschaffen, gern ließe ich mir Sklavenketten anlegen, um sie mein Leben lang zu tragen.“
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/23&oldid=- (Version vom 31.7.2018)