Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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gegangen; es sind erst fünf Jahre seither, und im Seminar mußten wir auch Feldarbeit betreiben.“ – „Und warum wollen Sie nicht lieber Ihre Kenntnisse benutzen und eine bessere Thätigkeit suchen, als den Bauern zu dienen?“ fragte Jener; allein Wilhelm hatte seinen Entschluß gefaßt und war nicht aufgelegt, sich mit dem Manne weiter über seine Lage einzulassen.
Indessen hatte sich der Regen wirklich gelegt und die Sonne beschien sogar die weite Gegend. Der Eigenthümer schickte sich an, den Weinberg zu besehen, und forderte Wilhelm auf, ihm noch eine Stunde Gesellschaft zu leisten, weil er für heute noch weit genug kommen würde.
In den Reben sah der Seldwyler, daß Wilhelm in diesen Dingen ebenso sichere Kenntnis als guten Verstand besaß, und als er hier und da eine Rebe schnitt und aufband, um seine Meinung zu zeigen, erwies sich auch eine geübte Hand. Er ging daher mit ihm auch in die Matten und Aecker und befragte ihn dort um seine Meinung. Wilhelm rieth ihm kurzweg, die Äcker ebenfalls wieder in Matten umzuschaffen, was sie früher auch gewesen seien; denn was an Ackerfrüchten hier oben gedeihe, sei nicht der Rede werth, während vom Walde her genug Feuchtigkeit da sei, die Wiesen zu tränken. Dadurch würde
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/224&oldid=- (Version vom 31.7.2018)