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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Weltlauf besser zu verstehen, was ein anderer Junge zu seinem Schrecken erfahren mußte; denn als dieser es dem Mädchen nachthun wollte und den Dietegen mit einem frechen Aufschnitt bewirthete, schlug der ihn unverweilt ins Gesicht. Küngolt, hierüber verblüfft, war neugierig, ob sich ein solcher Zorn auch gegen sie wenden könnte, und probirte den Schüler auf der Stelle, aber sachte, mit neuen Lügen. Von ihr jedoch nahm er alles an, und sie setzte ihren wunderlichen Unterricht kecklich fort, bis sie entdeckte, daß er gutmüthig mit ihren Lügen zu spielen anfing und einen zierlichen Gegenunterricht begann, indem er ihre muthwilligen Erfindungen mit nicht unwitzigen Querzügen durchkreuzte, so daß sie manchmal auf ein glattes Eis gesetzt wurde. Da fand sie, daß es Zeit sei, ihn aus dieser Schule zu entlassen und einen Schritt weiter zu führen. Sie begann ihn jetzt zu tyrannisiren, daß er fast in ärgere Dienstbarkeit verfiel, als er einst bei dem Bettelvogt erduldet hatte. Alles gab sie ihm zu tragen, zu heben, zu holen und zu verrichten; jeden Augenblick mußte er um sie sein, ihr das Wasser schöpfen, die Bäume schütteln, die Nüsse aufklopfen, das Körbchen halten und die Schuhe binden; und selbst ihr das Haar zu strählen und zu flechten, wollte sie ihn abrichten; aber das schlug er ab. Da schmollte und zankte sie mit ihm, und als

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/312&oldid=- (Version vom 31.7.2018)