Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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Feindschaft wieder, welche eine Reihe von Jahren geschlafen, und es wurde für jeden Seldwyler gefährlich, ihren Bann zu betreten.
Die Stadt Seldwyla hielt nun für Vergehen, die sie nach ihrer Lebensanschauung zu den leichteren zählte und nach Umständen mit Nachsicht behandeln wollte, kein Gefängniß, sondern verdingte die Verurtheilten, besonders wenn es sich um Frauen und jugendliche Personen handelte, an irgend eine Haushaltung zur Haft und Pflege. So sollte denn die arme Küngolt auf die Rathstube gebracht und dort zu einer öffentlichen Steigerung ausgestellt werden.
Der Forstmeister, dessen Fröhlichkeit dahin war, sagte seufzend zu Dietegen, es sei ein saurer Gang für ihn, auf's Rathhaus zu gehen und bei dem Kind zu wachen; denn es müsse Jemand von den Seinigen bei ihm sein während dieser bittern Stunde. Da erwiederte Dietegen: Ich will es schon thun, wenn ich Euch gut genug dazu bin! Der Forstmeister gab ihm die Hand. Thu's, sagte er, Du sollst Dank dafür haben!
Dietegen ging hin, wo die Abgeordneten des Raths saßen und einige Steigerungslustige, sowie ein Häuflein Neugieriger sich sammelten. Er hatte sein Schwert umgethan und sah mannhaft und düster blickend aus.
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/347&oldid=- (Version vom 31.7.2018)