Seite:Die Rätselbrücke.pdf/26

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

gleichfalls als Scheune dient. Na – abwarten! Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen! – Gute Nacht, mein Alter. Schlafe ohne Sorge ein. Man wird uns kein Haar hier krümmen. Erst wenn der Mohr seine Schuldigkeit getan hat, kann er gehen – oder besser, wird er beseitigt werden! Die Halunken sind mit uns ja fraglos auf Umwegen hierher marschiert, damit niemand ahnt, daß Okirupu zwei Weiße bei sich beherbergt hat. – So, nun aber endgültig gute Nacht.“

Ich bedauere, daß ich hier nicht eingehender schildern kann, wie uns dann der folgende Tag verstrich. Ich würde viele Seiten dazu brauchen. Der Haushalt Okirupus enthielt ja für den Europäer genug Merkwürdiges. Der oberste Fetischpriester der Sulus besaß sechs Frauen. Diese machten sämtlich einen recht verschüchterten Eindruck. Sie schienen vor ihrem Herrn und Gebieter eine furchtbare Angst zu haben. – Morrisson spielte weiter den liebenswürdig besorgten und wohlmeinenden Retter. Im übrigen geschah bis zum Abend nichts, das irgendwie für unsere Angelegenheit beachtenswert gewesen wäre. Erst bei der gemeinsamen Mahlzeit in unserer Hütte, an der auch Morrisson und Okirupu teilnahmen, kam Morrisson etwas unvermittelt auf die religiösen Gebräuche der Neger zu sprechen, besonders auf den Vidu-Kult und den Souquiant, die Schlange mit dem Menschenkopf.

„Master Harst, dürfte es nicht für Sie recht interessant sein, einem der nächtlichen Fetischfeste beizuwohnen?“ meinte er dann. „Bekanntlich halten die Neger gerade den Vidu-Kult außerordentlich geheim. Okirupu hat sich nun auf meine Bitte hin bereit erklärt, Ihnen zu gestatten, das in dieser Nacht stattfindende Fetischfest als Zuschauer mitzumachen, wenn Sie versprechen, das Ihnen hierzu angewiesene Versteck nicht zu verlassen.“

Harst meinte ganz begeistert, dies Versprechen gebe er sehr gern ab. Nur bäte er, auch mich mitzunehmen.

Morrisson verhandelte mit Okirupu im Sulukauderwelsch und sagte dann, der oberste Fetischpriester würde mich an Ort und Stelle tragen lassen.

Gegen zehn Uhr, bevor der Mond aufging, bezogen Harst, Morrisson und ich dann unsere „Tribünenplätze“. Diese lagen auf der Höhe eines einzelnen Felsens rechts der Fetischhütte am Rande des heiligen Waldes, in dessen Mitte Okirupu hauste.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Rätselbrücke. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_R%C3%A4tselbr%C3%BCcke.pdf/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)