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Um 11 ging der Mond auf. In kurzem füllte sich nun der Platz vor der Fetischhütte mit mehreren hundert Negern. Morrisson, der neben uns im Grase des oben stark verwitterten Felsens sich hingestreckt hatte, gab die nötigen Erklärungen ab. – Vor der Fetischhütte war ein Balken in die Erde eingegraben, der oben einen kurzen Querbalken hatte. Um dies geköpfte Kreuz herum brannten drei riesige Harzfackeln. Okirupu und drei andere Fetischpriester, gehüllt in bunte Fellmäntel und mit scheußlichen Rindenmasken vor den Gesichtern, tanzten zunächst eine Weile um den Balken herum, wobei sie sich ähnlich wie die tanzenden Derwische bewegten. Dann warfen sie sich plötzlich lang auf den Boden. In demselben Moment erblickte ich an den Balken des geköpften Kreuzes eine riesige Schlange, die mit dem hin und her pendelnden Kopf nach unten hing. Wenige Sekunden später erhob sich einer der Fetischpriester, ergriff einen Dolch und stieß ihn sich durch den linken Unterarm.

Morrisson flüsterte uns zu. „Sehen Sie – die Schlange hängt frei in der Luft!“

Ich schaute hin. Der Balken war verschwunden. Aber die Schlange hatte noch genau dieselbe Stellung inne wie vorhin, schwebte also scheinbar frei in der Luft. – Ich gebe zu, daß dies auf mich mehr Eindruck machte als alles, was ich bisher an derartigen Vorführungen gesehen hatte. – Näher kann ich hier auf das Vidu-Fest nicht eingehen. Es folgten für jeden Europäer geradezu abstoßende Abschlachtungen von Hühnern, Affen und Ziegen, wobei stets der Souquiant eine gewisse Rolle spielte; dann schloß sich ein Gelage an, bei dem die Neger sich bis zur Bewußtlosigkeit volltranken. – Um drei Uhr morgens waren wir wieder in unserer Hütte. Morrisson schwärmte geradezu von den geheimnisvollen Fähigkeiten der Fetischpriester. Er hatte sich auf eine Matte gesetzt und holte nun aus der Tasche – ein quadratisches Stück Papier hervor, erklärte dabei sehr geheimnisvoll: „Master Harst, würden Sie mir einen Gefallen tun? Sie sind doch Detektiv und dürften auch hiervon etwas verstehen. Diese merkwürdige Zeichnung hat mir Okirupu geschenkt. Der, der sie enträtselt, soll in den Besitz großer Reichtümer gelangen. Ich vermag aus der Skizze nicht klug zu werden. Würden Sie sich die Zeichnung einmal ansehen?“

Da begriff ich plötzlich alles: Harsts Andeutungen, daß

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Walther Kabel: Die Rätselbrücke. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_R%C3%A4tselbr%C3%BCcke.pdf/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)