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er diese Taktik beibehalten. Meine Geduld war jedoch zu Ende. Als er vor dem architektonisch geradezu wundervollen Gebäude der Staatsbibliothek stehen blieb und mich auf den gefälligen Gesamteindruck der ausgedehnten Anlagen vor dem Gebäude aufmerksam machte, spielte ich beharrlich den Stummen, bis er lachend meinen Arm nahm, mich weiterzog und meinte:

„Aha, mein treuer Gehilfe ist arg verschnupft, weil ich ihn dursten lasse! – Bitte, lieber Alter, frage! Ich beantworte Dir alles, was Du wissen willst.“

„Ich denke, ich habe auch ein Anrecht darauf, besser eingeweiht zu sein als etwa Fitzgerald,“ sagte ich kurz. „Bisher tappe ich ja völlig im Dunkeln. Was hat es mit dem Götzen zum Beispiel auf sich? Der hängt doch mit dem Diebstahl oder dem Tode Pooks irgendwie zusammen. Du hast Dir Pooks rechte Hand so genau angesehen. Die Statue hatte ein Loch, in dem hohlen Tongötzen bewegte sich etwas. Vermutest Du darin eine kleine Giftschlange, die vielleicht Pook gebissen hat? Ist er an den Folgen dieses Bisses gestorben?“

„Nein. In der Statue dürfte sich ein sehr harmloser Käfer der Gattung Cervus atrox befinden, afrikanischer Hirschkäfer genannt. Diese bis zu 6 Zentimeter großen Gesellen sind im Dunkeln sehr lebhaft. Bekanntlich besitzen sie eine Art Geweih, mit dem das in die Statue eingesperrte Tierchen an den Wandungen entlangschrammte. – Du brauchst mich nicht so zweifelnd anzuschaun! Es ist so! Von einer Giftschlange ist keine Rede.“

Ich war arg enttäuscht. Ich hatte mir ja eine so wunderschöne Theorie zurechtgelegt. Damit war es nun nichts. Das kühlte meine Neugier gewaltig ab. Immerhin fragte ich aber noch, um wenigstens den Hauptpunkt zu klären:

„Wer ist der Dieb?“

Harsts Antwort entsprach so recht seiner Manie, erst ganz zum Schluß bei der Entwirrung eines schwierigen Falles all seine Trümpfe aufzudecken.

„Wenn Du vor dem Bibliotheksgebäude Deiner Augen Dich so bedient hättest, wie es der Freund und Mitarbeiter Harald Harsts stets tun müßte, dann würdest Du ihn gesehen haben. Da Du jedoch trotz meiner häufigen Hinweise auf die Notwendigkeit eines Sehens mit dem geistigen Auge wiederum aus Bequemlichkeit mir die ganze Arbeit, unsere Umgebung

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Walther Kabel: Die Rätselbrücke. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_R%C3%A4tselbr%C3%BCcke.pdf/49&oldid=- (Version vom 31.7.2018)