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erhielt einen furchtbaren Schlag gegen die Schläfe, flog vornüber und verlor das Bewußtsein. –

Mein Erwachen war seltsam genug. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß man mir mit kleinen Hämmern ununterbrochen gegen den Schädel klopfe, mein Kopf selbst aber gar nicht mehr zu meinem Körper gehöre. Daß ich noch einen Leib besaß, spürte ich in keiner Weise. Als ich dann die Augen zu öffnen versuchte, fuhren mir glühende Stangen durch das Hirn. Ich ließ die Lider also geschlossen. Ganz – ganz allmählich gewann ich die Empfindung dafür zurück, daß an meinem schmerzgepeinigten Kopf auch noch ein Leib hing. Und dann wurde mir ebenso langsam klar, daß ich nicht etwa irgendwo ausgestreut lag sondern schwebte. Ich gab mir alle Mühe zu ergründen, wie dieses Schweben zustande kam. Nun hatte ich es ergründet: unter meinen auf dem Rücken gefesselten Armen war ein Strick durchgezogen. An diesem Strick hing ich.

Wieder nach einer geraumen Zeit gelang es mir, die Lider zu heben. Aber es war zwecklos gewesen. Um mich her lauerte schwärzeste Finsternis – Den Knebel im Munde fühlte ich jetzt auch, ebenso den Bindfaden, der den Knebel festhielt und meine Wangen und die Haut des Genicks einschnürte. Als letztes stellte ich nun Fesseln an den Fußgelenken fest, von denen offenbar ein Strick nach unten lief, der meinen Körper gestreckt hielt.

Dann kehrte auch die Erinnerung an unsere Überrumpelung zurück. Palperlon hatte im Bett gelegen, und einer seiner Genossen mußte uns niedergeschlagen haben. Kaum hatte ich mir dies klar gemacht, als ich ein Geräusch hörte: das Kreischen eines Türschlosses. Nun vernahm ich auch ein leises, vergnügtes Pfeifen. Der, der das Schloß geöffnet hatte, pfiff das gefühlvolle Lied: „Heimat, süße Heimat –“

Plötzlich wurde es blendend hell ringsum. Ich starrte in den Lichtkegel einer großen Laterne hinein.

Das Pfeifen verstummte. Dafür sagte eine Stimme mit ironischer Liebenswürdigkeit:

„Guten Morgen, meine Herren. Wünsche wohlgeruht zu haben.“

Ah – kaum drei Schritt vor mir hing ja Harst in derselben Stellung wie ich! Und nun sah ich auch den Laternenträger: es war der bucklige Simpson-Palperlon!

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Walther Kabel: Die Rätselbrücke. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_R%C3%A4tselbr%C3%BCcke.pdf/54&oldid=- (Version vom 31.7.2018)