kein Stoff, braucht es auch der Sauerstoff nicht zu sein. Man wende nur nicht die Unzerstörbarkeit und Erhaltung der Materie ein. Sagen wir lieber Erhaltung des Gewichtes, so haben wir eine reine Tatsache und sehen sofort, dass diese mit keiner Theorie etwas zu schaffen hat[1]).“ „Stoff ist mögliche Erscheinung, ein passendes Wort für eine Gedankenlücke[1]).“
Der Stoff, die Materie, die Substanz, die Moleküle, Atome, Elektronen sind ihm also nur Theorien, Arbeitshypothesen, nicht anders als es ihm die Räume von mehr als drei Dimensionen sind — und schon vor dem Erscheinen der Riemannschen Arbeit waren —, Knechte, die gehen können, wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben, Vorstellungen, die niemals den Wert sinnlich aufweisbarer Erfahrung haben.
5. Berkeley und die Sinnesphysiologie hatten Mach gelehrt, dass die übliche Bevorzugung des Getastes vor dem Gesicht unhaltbar ist. Damit verlor für ihn die Mechanik ihre Sonderstellung in der Physik, und die thermischen und elektromagnetischen Vorgänge wurden ihr gleichberechtigt[2]). „Wir können jetzt noch gar nicht wissen, welche von den physikalischen Erscheinungen am tiefsten gehen, ob nicht die mechanischen gerade die oberflächlichsten sind, ob nicht alle gleich tief gehen[3]).“ Damit fiel aber zugleich die alte ‚Erklärung‘ fort, d. h. die Zurückführung aller physikalischen und chemischen Vorgänge auf mechanische, auf Moleküle und Atome, die mit Kräften als besonderen Wesenheiten begabt sein sollten. Der Massenbegriff wurde umgeformt und auf den reinen „Ausdruck des Tatsächlichen“ gebracht. Als Aufgabe der Physik — wie aller Wissenschaft — ergab sich die ökonomische Darstellung des „Tatsächlichen“, die vorteilhafteste „Beschreibung“ der Tatsachen, worin Mach einige Jahre später (1874) in Kirchhoff einen mächtigen Bundesgenossen fand.
Das alles ist für den Relativismus Machs — seinen relativistischen Positivismus — und somit im besonderen für die Relativitätstheorie von grundlegender Bedeutung. Denn auf dem so gewonnenen Standpunkt kann keine Rede mehr davon sein, dass die Wissenschaft absolute Wahrheit zu ermitteln habe, die Welt erkennen könne, wie sie an sich sei, ohne Beziehung auf die Organisation des Erkennen-wollenden, sondern nur, dass die Aufgabe sei, immer weiter gehende Feststellung des Verhältnisses des Menschen zu seiner näheren und ferneren Umgebung, Ausbildung eines Systems begrifflicher Reaktionen, die den Menschen zu allen auf ihn einströmenden Reizkomplexen ins Gleichgewicht, in eine stabile Relation, eine endgültige Beziehung setzen. Dieser Forderung vermag eben die Relativitätstheorie der Physik in hohem Masse zu entsprechen; man wird ihr aber auch erst dann völlig
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/6&oldid=- (Version vom 7.6.2024)