werden, und soll die Sag des Gefragten nit angenommen oder aufgeschrieben werden, so er in der Marter, sondern soll sein Sag thun, so er von der Marter gelassen ist (Carolina, Art. 58). –
Endlich bedeutete Sage einen auf mündlichem Wege verbreiteten Bericht über etwas, eine Kunde von etwas, aber wieder mit verschiedenem Nebensinn. In der älteren Sprache wird der Bericht, der sich noch auf etwas Gleichzeitiges bezieht, noch ohne die Betonung der Unsicherheit der Kunde aufgefaßt, z. B. nu was in vor mit sage wol kunt, wie der Kaiser walte zwên in kurzer stunt (Lohengrin 6798). Später kommt die Vorstellung des Unsicheren, Unzuverlässigen, des Gerüchts hinzu, z. B. durch offenbarung, red‘ und frage, wird offt gewehrt der bösen sage (Schwiegers geharnischte Venus 26, Neudr.)
Besonders entwickelte sich der Begriff Sage-Bericht, Kunde über etwas Vergangenes und zwar vor allem weit in der Vergangenheit Zurückliegendes, wie es von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzt, auch hier in der älteren Sprache zuerst wieder ohne die Vorstellung des Unzuverlässigen, des Unhistorischen, z. B. daz sî sanfte nâch sage waeren an dem vierden tage gerîten in daz schoene lant (Lanzelet 9094). Mit der wachsenden Kraft der Kritik, wie Grimms Wörterbuch sagt, entwickelte sich der moderne Begriff der Sage, mit dem die Vorstellung des Unhistorischen unlösbar verbunden ist. Danach ist die Sage eine Kunde von Ereignissen der Vergangenheit, welche einer historischen Beglaubigung entbehrt. Der Begriff der Sage wird ausgebildet als der naiver Geschichtserzählung und Überlieferung, die bei ihrer Anordnung von Geschlecht zu Geschlecht durch das dichterische Vermögen des Volksgemüts umgestaltet wurden, und freier Schöpfung der Volksphantasie, welche ihre Gebilde an bedeutsame Ereignisse, Personen, Stätten anknüpft.
Somit bedeutet Sage als Allgemeinbegriff die gesamte eben charakterisierte Überlieferung. W. Grimm sagt in seiner Heldensage 335: „Die Sage folgt der Entwicklung des menschlichen Geistes … In diesem Fortgange kann sie alles, was ein Volk geistig besitzt, Himmlisches wie Irdisches berühren“. In diesem Sinne spricht man von Götter-, Heldensage usw.
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)