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Seite:Die Sage-Karl Wehrhan-1908.djvu/13

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Im engeren Sinne bezeichnet Sage eine Erzählung, Überlieferung mit bestimmtem Inhalt; so sagt man: die Sage von Siegfried, die Kyffhäusersage, die Sagen Westfalens u. a.

Weiter spricht man von einer alten, grauen, dunklen Sage. Man sagt: der Sage nach – es ist eine Sage – wie die Sage geht – die Sagen gehn, z. B. die allgemeine Sage geht, daß die Gespenster meiner Väter in diesen Ruinen rasselnde Ketten schleifen (Schillers Räuber 4, 5).

Und endlich schließt sich der Begriff Sage auch ferner an eine unverbürgte Vorstellung, z. B.: War seiner Hoffnung Grund nicht eine graue Sage? (Uz 272, hrsg. v. Sauer).

Die heute vorwiegende Bedeutung der Sage – Volkssage – hat sich erst im 18. Jahrhundert entwickelt, wo mit dem Bekanntwerden und der Würdigung altnordischer Literatur der dortige Name dieser Dichtwerke (d. h. unbeglaubigter, dichterisch ausgeschmückter Geschichtserzählungen) „saga“ an das deutsche Wort angelehnt wurde. Am Ende des 18. Jahrhunderts erschienen die ersten solcher Sammlungen unter dem Titel „Sagen“ bei uns (vgl. d. Literatur unten!).

Aber auch heute ist der Begriff der Sage, dessen historische Entwicklung wir gleichsam gegeben haben, noch nicht so fest eingeengt, daß er nicht eine wenn auch nur geringe Beweglichkeit zuließe. Zuerst muß die Sage in der Überlieferung im allgemeinen einen Platz haben. Wir führen zum Vergleich verschiedene Definitionen außer den schon angegebenen an. Lyon sagt (a. a. O.): „Sage wie Überlieferung im engeren Sinn gehen auf das mehr oder minder Vergangene, von einem Geschlecht auf das andere Übergehende, Geschichtliche und bilden ein Stück des geistigen Eigentums eines Volkes. Sage und Überlieferung unterscheiden sich dadurch, daß der Inhalt der Sage nur Geschichte ist, der der Überlieferung aber auch Lehren und Vorschriften über gewisse Gebräuche sein kann. Im weiteren Sinn versteht man unter Überlieferung alles das, was von unseren Vorfahren, mündlich wie schriftlich, in Worten, Sachen, Einrichtungen, Gebräuchen usw. auf uns gekommen ist.“ Weigand (a. a. O.) sagt: „Die Sage ist eine im Volk entstandene, erdichtete oder durch Erdichtung ausgeschmückte Erzählung.“ Steinthal[1] definiert Sagen als „lediglich schriftstellerisch


  1. Das periodische Auftreten der Sage (Zeitschrift f. Völkerpsychologie u. Sprachwissenschaft. XX. 1890. S. 306).
Empfohlene Zitierweise:
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)