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überlieferte und von einem zum andern wandernde Erzählungsstoffe“ und schließt sich dabei an George an, der sagt: „Mythos ist ein in Erzählung gekleideter Gedanke“. Und der bekannte Volkskundeforscher Wilhelm Schwartz[1] meinte, die Sage im allgemeinen sei „jede aus dem volkstümlichen Leben aufsteigende erdichtete Erzählung“, im besonderen seien Sagen „diejenigen in kunstloser Form in der Volkserinnerung aufbewahrten Erdichtungen, welche Grundanschauungen der Volksseele, aus einem erhöhten Zustand der letzteren hervorgehend, eindringlich verkörpern und durch diese Verkörperung wiederum die Volksseele während langer Zeiten leiten und formen.“ Henne-Am-Rhyn[2] sagt: „Der Name der Sage ging vorzugsweise auf solche Erzählungen, welche sich an besondere Orte, Zeiten und Personen knüpften.“ Meiche[3] führt aus: „Für die Zwecke der Volkskunde, die uns die Volksseele bei ihrem Denken und Schaffen zeigen will, erweist sich der allgemeine Begriff der Sage (als Erzählung) als zu geräumig. Sage kann hier vor allem nur die Überlieferung genannt werden, an der das Volksbewußtsein unter Verwendung typischer Vorstellungen ausdeutend und fortgestaltend tätig ist. Mit anderen Worten: Ein Bericht wird erst dann zur Sage, wenn er sich nicht mit der Wiedergabe der einfachen Tatsache begnügt, sondern sie auch erklärt und dazu Anschauungen benutzt, die im Volke allgemein umlaufen und auch auf jeden ähnlichen Fall angewandt werden können.“

Mit dem Märchen hat die Sage viel Ähnlichkeit, beide greifen in unendlichen Mischungen und Wendungen ineinander, aber die Sage ist mehr lokaler, das Märchen allgemeiner Natur, erstere ist historischer, letztere poetischer. Daraus folgt, daß die Sage gebundener ist, das Märchen dagegen freier, in sich selbst ohne äußere Fesseln gefestigt. Wilhelm Grimm sagt davon[4]: Die geschichtliche Sage fügt


  1. Vgl.: der sittliche Zug in der deutschen Sage – (Preuß. Staatsanzeiger 1870, Beilage zu No. 28).
  2. Die deutsche Volkssage … 2. Aufl. 1879. S. 2.
  3. Sagenbuch des Königreichs Sachsen. Leipzig 1903. S. 12.
  4. Kleinere Schriften. Bd. I. S. 333. – Th. v. Bernardi, Volksmärchen und epische Dichtung. Leipzig 1871. – W. Urbas, Über Sagen und Märchen. Leipzig. 1888. – Otto Weddigen, Die deutsche Sage und das deutsche Volksmärchen. Stuttgart 1904.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/14&oldid=- (Version vom 31.7.2018)