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doch diesem werden allerlei Geschichten von ihrer Untreue erzählt. Trotzdem das Hemd nicht fleckig wird, glaubt er den Verleumdungen und will seine Frau verstoßen, die aber schnell in ihre Kemenate eilt, als jener Pilger, mit Laute und Harfe, wieder erscheint und so ihren Gemahl überzeugt.

In grellen Farben werden aber auch die Folgen der ehelichen Untreue in der Sage dargestellt. Die Gemahlin von Kaiser Otto III., so erzählt die Sage[1], wollte ihrem Gemahl untreu werden und drängte einen edlen Ritter sehr mit ihren Zudringlichkeiten. Doch der sagte: „Das sei ferne von mir, das wäre meiner und meines Herrn Ehre viel zu nahe“ und ging weg von der Kaiserin, die ihn dann der Verführung beim Kaiser anklagte. In seinem Zorn ließ er den Ritter hinrichten, aber es floß nicht Blut, sondern Milch aus seinem Halse. Da rief der Kaiser: „Hierum steht’s nicht recht!“ untersuchte die Sache scharf, stellte die Schuld seiner Frau fest und ließ sie wegen dieser Untat fangen und brennen.

So kommt die verleumdete eheliche Unschuld an den Tag; dazu noch ein anderes Beispiel. Karl, König Ludwig des Deutschen Sohn[2], hatte eine schöne und tugendsame Gemahlin, die bei ihm aber verleumdet wurde. Sie drang auf ein Gottesurteil; ein Wachshemd brannte auf ihrem nackten Körper ab, ohne sie zu versehren. Da ließ der König die Lügner an den Galgen hängen, er hatte seine Gemahlin aber lieber als zuvor.

Die Sage gefällt sich gern darin, oft mit köstlichem Humor den Ausgang solcher Geschichten zu berichten. Kaiser Heinrich V.[3] wollte die Treue seiner Gemahlin auf die Probe stellen und ließ einen seiner Mannen um ihre Minne bitten. Das war ihr leid. Auf sein dringendes Bitten aber sprach die Frau, sie wolle tun, als ihr Herr raten würde. Der tat, als ob er auf die Jagd gehen wollte, und als der in jenes Mannes Gestalt verkleidete Kaiser nachts kam, ließ die Kaiserin ihn durch einige starke Männer mit großen Knütteln dermaßen durchprügeln, daß er laut um Hilfe schrie und so erkannt wurde.


  1. Brüder Grimm, Sagen II. Nr. 479.
  2. Brüder Grimm, Sagen II. Nr. 465.
  3. Brüder Grimm, Sagen II. Nr. 491.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/30&oldid=- (Version vom 31.7.2018)