ersten den Apfel herab. Auf Befragen nach dem Zweck der beiden anderen Pfeile antwortete er, daß diese dem Könige zugedacht gewesen seien, wenn er den Knaben getroffen hätte.
Noch früher, gegen Ende des 12. Jahrhunderts, überliefert uns der dänische Chronist Saxo Grammaticus die Sage vom Schützen Toko, den der Dänenkönig Harald Blauzahn (935–985) zu gleichem Schusse aufforderte. Diese Sage nähert sich insofern mehr der Tellsage, als Tokos Pfeil später den Haral erlegt. Von dem Vater Tokos, Palne, erzählt man sich eine ähnliche Sage.
In Norwegen erscheint dieselbe Sage sogar in mehreren Formen. König Harald (im 11. Jahrhundert) soll einmal Hening, den Sohn eines reichen Landmannes, zum Wettstreite im Bogenschießen herausgefordert haben. Hening besiegte Harald, wurde aber bei Verlust seines eigenen Lebens gezwungen, seinem Bruder Biörn eine Haselnuß vom Haupte zu schießen, was er auch glücklich ausführte.
In Stormarn im Holsteinischen soll zur Zeit König Christians I. (1448–1481) ein gefangener Hauptmann Hening Wulf den Apfelschuß nach seines Sohnes Haupte glücklich ausgeführt haben, aber später geächtet worden sein.
Ein Volkslied des nördlichen Englands berichtet von William of Cloudesly, der wegen Übertretung der Jagdgesetze verurteilt, auf Bitten der Königin aber begnadigt wurde. Um eine Probe seiner Geschicklichkeit zu geben, erbot er sich freiwillig, seinem 7jährigen Sohne einen Apfel vom Haupte zu schießen, was er dann auch glücklich vollbrachte und sich Ruhm und Ehre erwarb.
Eine andere Schützensage erzählt man sich von dem Helden Puncher von Rohrbach bei Heidelberg, der gezwungen wurde, seinem Sohne einen Denar vom Haupte zu schießen: auch er steckte zuvor einen weiteren Pfeil zu sich und gab eine ähnliche Antwort darüber wie Tell.
Alles in allem genommen haben wir in Wilhelm Tell jedenfalls keine historische Persönlichkeit vor uns, wohl aber wird die sehr verbreitete Schützensage auch in der Schweiz auf einen wegen seiner Geschicklichkeit berühmten Schützen übertragen sein. Auf die ursprüngliche Entstehung der Tellssage ist vielleicht ein altgermanischer Mythus nicht ohne Einfluß gewesen.
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/43&oldid=- (Version vom 31.7.2018)