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Walther Kabel: Die Sinnesorgane der Reptilien (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

ganz genau und laufen daher ihrem Wärter regelmäßig entgegen. Betritt nun morgens ein anderer Mensch die Umzäunung, so verlassen die Tiere zwar ebenfalls schleunigst das Wasserbassin, um ja nicht bei der Fleischverteilung zu kurz zu kommen, stutzen aber, sobald sie sich auf zwanzig Meter der betreffenden Person genähert haben, und machen dann ebenso hastig kehrt. Jetzt erst haben sie bemerkt, daß es nicht ihr Fütterer, sondern ein Fremder ist.

Riesenschlangen vermögen Gegenstände erst auf drei bis vier Meter Entfernung deutlich zu unterscheiden. Schlechter noch steht es um die Sehschärfe anderer Schlangen. In dem Pariser Zoologischen Garten hat Professor Valoux Giftschlangen, die man vorher sehr lange fasten ließ, kaninchenähnliche Attrappen aus Stoff in ihre Käfige geschoben und mit Hilfe dünner Stabe hin und her bewegt. Fast sämtliche Schlangen näherten sich den Attrappen beutelüstern bis auf etwa zwei Meter, ehe sie bemerkten, daß es keine lebenden Kaninchen waren, die sich in ihrem Käfig befanden.

Einige Schildkrötenarten sind so kurzsichtig, daß sie ihre Nahrung vor dem Verschlingen erst genau mit der Zunge befühlen. Eidechsen, die sich am Wegrande sonnen, flüchten nur, wenn der sie beobachtende Mensch sich auffällig bewegt oder sein Schatten auf sie fällt. Ihr Gehör ist etwas besser ausgebildet. Aber über einen Umkreis von dreieinhalb Metern hinaus entgeht ihnen auch das stärkste Geräusch.

Bei dieser Gelegenheit sei auch der Kurzsichtigkeit der Fische gedacht. Bei ihrem Aufenthalt in dem nur selten und auch nur bis zu einer gewissen Tiefe durchsichtigen Wasser würden ihnen freilich auch die besten Sehorgane wenig nützen. Die Kurzsichtigkeit der Fische ist auch der Grund, weswegen sie immer wieder an die Angel gehen. Man hat Fische gefangen, die vier bis fünf Angelhaken im Maule sitzen und trotzdem wieder angebissen hatten. Aus demselben Grunde ist auch nur der Fang mit den sogenannten Stellnetzen möglich, wobei die Fische sich mit dem Kopf in den feinen Maschen verwickeln. Dafür besitzen sie aber ein desto schärferes Gehör, das durch die Eigenschaften des Wassers als guter Schallleiter allerdings noch wesentlich unterstützt wird.

W. K.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Sinnesorgane der Reptilien (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sinnesorgane_der_Reptilien.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)