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aufs Haar mit dem Gegenstande, den er vor Augen hat, übereinstimmt, falls sein Zeugniß gegen die Vorurtheile des Herrn Courajod stößt. Ja, diese Vincimonomanie geht so weit, daß der so scharfsinnige Kunstfreund dabei gleichsam in Betäubung, blindlings der Führung des mehr gutwilligen als kunstverständigen Gerli sich überläßt, und mit diesem gar kein Bedenken trägt, jene einer viel spätern Zeit angehörende Zeichnung des s. g. Praxitelespferdes auf dem Quirinal als Originalzeichnung des Leonardo da Vinci zu betrachten. Hat denn der gelehrte Herr nicht erwogen, daß er bei einer solchen Annahme den Leonardo nothwendig nach Rom mußte reisen lassen, um dort seine Studie fürs Sforzadenkmal nach dem Pferde des Praxiteles machen zu können! Bis jetzt hat uns keiner der Biographen Leonardo’s von einer solchen Reise des Meisters nach Rom zu berichten gewußt. Meinen eigenen Studien zufolge dürfte Leonardo vor dem Jahre 1502 oder 1503 schwerlich die ewige Stadt besucht haben. Gaye theilt uns in seinem Carteggio folgendes mit (II, 89): A Leonardo di S. Piero da Vinci, paghati per lui a Mariotto Ghalilei, camerlengo in dogana per ghabella d’uno suo fardello di sue veste fatte venire da Roma, 30. Aprile 1505.

Daraus ließe sich, dünkt mich, vielleicht schließen, derselbe sei in Rom gewesen und habe dort Kleidungsstücke zurückgelassen, die er sich einige Jahre später nach Florenz kommen ließ. Wahrscheinlich fiel dieser erste Besuch von Rom in jene Zeit, als Leonardo im Dienste des Cesare Borgia die Festungen des päpstlichen Staates zu berichtigen hatte. Die zweite Reise Leonardo’s nach der ewigen Stadt fand bekanntlich im Jahre 1513 statt. Aber alles dies gehört nicht wesentlich zur Sache.

Die Frage, um die es sich hier handelt, ist einfach die: zu entscheiden ob die Münchener Zeichnung wirklich Originalzeichnung des Antonio del Pollajuolo sei, wie ich

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/130&oldid=- (Version vom 31.7.2018)