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nicht von Adriaen van der Werff selbst gemalt, doch einem Zeitgenossen und Landsmann von ihm angehören müsse, auf keinen Fall aber einem Italiener und noch dazu einem Italiener aus den drei ersten Decennien des 16. Jahrhunderts.“

„Nein, mein Herr, mich werden Sie nicht bekehren“, sagte spöttisch lächelnd die entrüstete Dame, die das Bild durchaus nicht genauer sich besehen wollte, und fuhr dann fort: „Sie haben wohl die Werke unsers Raphael Mengs nie gelesen? Mengs war doch auch ein Kunstkenner und zwar ein sehr großer und allgemein gefeierter, und er hatte zudem, wie kein anderer, mit dem Studium des Correggio sich gründlich befaßt, hatte sich tief in die Denk- und Gefühlsweise des göttlichen Meisters eingelebt; nun gut, Raphael Mengs giebt gerade dieser von Ihnen so sehr verachteten Magdalena den Vorzug vor allen andern Meisterwerken des Correggio. Und wollen Sie noch mehr? Unser großer Aesthetiker und Dichter Wilhelm von Schlegel widmet diesem Bilde eines seiner lieblichsten Sonette.“

„Ach, sage es ihm doch vor, Elise“, sagte der über die Gelehrsamkeit seiner Tochter entzückte Papa, „Du kannst es ja auswendig.“

„O nein, – tauben Ohren zu predigen ist nutzlos“, entgegnete rasch die Tochter.

„Kann sein“, antwortete ich, auf diese etwas scharf betonte Bemerkung. „Das ist alles sehr möglich, da ja der Geschmack von Mengs eben der Geschmack seiner Zeit war. Was aber die Kennerschaft der Aesthetiker, zumal der romantischen und neokatholischen betrifft, so erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich denselben nicht das mindeste Gewicht beilegen kann. Alle fünfzig Jahre haben wir ja eine andere Aesthetik, das ist Modesache. In ein ein so geduldiges Ding, wie ein Gemälde ist, legt ja der Aesthetiker allen Quark hinein, der ihm eben in den Sinn kommt; und die das Zeug lesen, erfreuen sich an der schönen Phrase, sehen in ihrem Geiste die Magdalena des Sonettes, kaum je die gemalte. Die meisten Menschen,

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/176&oldid=- (Version vom 31.7.2018)