Seite:Die Werke italienischer Meister (Morelli).pdf/212

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

diesem letztern Bilde der todte Christus nicht nur von einem, sondern von drei oder vier Engeln gestützt wird. Mit Ausnahme der Herren Cr. und Cav. bestehen auch alle neueren Kunstforscher noch immer darauf, jenes Gemälde von Treviso als ein bewunderungswürdiges Werk des Giorgione zu bezeichnen – was wohl ein weiterer Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung ist, daß der große Maler von Castelfranco selbst von den größten Autoritäten in der Kunst noch sehr wenig recht verstanden und gekannt ist. Ueber das Bild bin ich insofern derselben Ansicht wie die Herren Cr. und Cav., welche jene „Pietà“ in Treviso dem Giorgione absprechen. So geistlos und klotzig in den Formen, so schwerfällig und dumpf in der Farbe ist jenes Bild, daß es höchstens einem Nachahmer des Meisters, vielleicht dem Trevisaner Domenico Caprioli, der das männliche Porträt der Münchner Galerie gemalt hat, zugeschrieben werden kann[1], oder etwa irgend einem ebenbürtigen Zeitgenossen desselben – dem edeln, feinen Giorgione aber in keinem Falle.

Nach dieser langen Disgression kehren wir zurück zu dem vom Anonymus im Jahre 1525 im Hause des Jeronimo Marcello zu Venedig gesehenen und von ihm, wenn auch flüchtig, so doch richtig beschriebenen Bilde: „schlafende Venus mit dem Cupido in einer offenen Landschaft.“ Dieses wunderbar schöne Bild gilt allgemein für ganz verschollen. Ob mit Recht, ist eine andere Frage. Wenn ich dasselbe noch nachweisen zu können glaube, so habe ich meine jungen Freunde diesmal nicht weit zu führen. Das herrliche Bild befindet sich – nur dem Auge der Kunstforscher bisher verschleiert – in der Dresdner Galerie (No. 236). Zu meinem eigenen Troste kann ich mir das Zeugniß geben, in diesem zauberhaft schönen Bilde den


  1. No. 1421. In der „Pietà“ von Treviso würde sich Domenico Caprioli, wenn dieses Bild wirklich von ihm wäre, auch als ein Nachahmer des Giovan Antonio da Pordenone zu erkennen geben.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/212&oldid=- (Version vom 31.7.2018)