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so durchgeistigt dargestellt worden, wie dies Correggio sowohl in seiner Danae als in seiner Leda der Berliner Galerie geglückt ist. Wie grobkörnig sind nicht alle die Venus- und Danaedarstellungen eines Tizian dagegen! Doch gebe ich gerne zu, daß, was technische Meisterschaft, was äußerste Gewandtheit der Pinselführung, kunstreiche Licht- und Schattenvertheilung betrifft, kein Maler Italiens je den alten Tizian erreicht hat.

Im Jahre 1646 gab Carlo Ridolfi seine „Meraviglie dell’ arte“ heraus. Derselbe hatte aller Wahrscheinlichkeit nach keine Kenntniß vom Manuscripte des Anonymus, führt aber ebenfalls diese „schlafende Venus“ als Werk Giorgione’s an, und zwar noch immer als im Hause Marcello befindlich: una deliziosa Venere ignuda dormiente è in casa Marcella, ed a’ piedi è Cupido con augellino in mano che fù terminato da Tiziano; d. h. eine wunderherrliche nackte schlafende Venus ist im Hause Marcello und hat zu ihren Füßen den Cupido mit einem kleinen Vogel in der Hand, welcher (d. h. der Cupido) von Tizian vollendet wurde (Vol. I, p. 130). So lautete also damals noch immer die Tradition im Hause Marcello. Dieses Bild kam nun, wie Herr Hübner im Kataloge uns mittheilt, als Werk Tizian’s nach Dresden, und „zu den Füßen der Venus saß ein Amor, welcher so beschädigt war, daß man die Ueberreste ganz hinweggenommen; restaurirt von Schirmer.“ Nach der Restauration ward das Bild als „wahrscheinliche Kopie(!!)“ und überdieß von Sassoferrato (!) getauft[1]. Und als solche


  1. Die graue, schmutzige, schwerfällige Wolke, die den Himmel fast ganz bedeckt, ist das Werk des Restaurators, hinter derselben steigt die originale, helle giorgionische Wolke auf; auch die drei Bäume im Mittelgrunde sind gar zu plump und dumm übermalt; der helle Lichtsreifen auf den Häusern ist ganz giorgionesk, gerade so, wie wir ihn im Bilde „das Gewitter mit der Zigeunerin und dem Soldaten“ (beim Fürsten Giovanelli) sehen. Der ganze, wunderbar schöne Leib der Venus ist mit einer gelblich-schmutzigen Kruste überzogen. Das rothbraune Tuch mit dem goldenen Saume, auf dem der so fein modellirte Arm der Venus scharf absticht, ist durch und durch giorgionesk, ebenfalls in seiner Manier sind die gekniffenen Bruchfalten auf dem weißen Tuche, die Form des Daumens, welcher bei Giorgione von dem bei Tizian sehr abweicht. Und endlich dieses herrliche Oval des Gesichtes! Es ist dasselbe, das wir in der Madonna von Castelfranco und in der Madonna im Madrider Museum sehen.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/215&oldid=- (Version vom 31.7.2018)