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um endlich bei der Idylle des Adriaen van der Werff anzugelangen. Man hielt eine Zeitlang diese Venus für das Porträt einer Fürstin von Eboli und den Lautenspieler für Philipp II. Wahrscheinlich ist der junge Mann nichts anders als ein venezianischer Edelmann[a 1], der sich von Tizian neben seiner geliebten „cortigiana“ hat malen lassen.

Das Bildniß eines jungen Frauenzimmers in röthlicher Kleidung, No. 226, in den Händen eine Vase haltend, ist dermaaßen verputzt, verwaschen und verunstaltet, daß es in seinem gegenwärtigen Zustande nach gar nichts aussieht. Dagegen ziemlich wohl erhalten und edel aufgefaßt, ist das Porträt der vornehmen Dame im Trauerkleide, No. 227.

Den späten Jahren Tizian’s gehört das männliche Bildniß, No. 228, zu. Hinter dem Manne sieht man auf dem Gesimse eines Fensters eine Farbenschachtel; vom Jahre 1561. Tizian zählte also etwa 84 Jahre, als er dieses Bildniß malte. Wir wenden uns nun zu dem interessanten Porträt einer jungen, weißgekleideten Dame mit blonden Haaren, einen Fächer in der Hand haltend, No. 229. Dieses nämliche Porträt erblicken wir in der Belvederegalerie in Wien, meisterhaft von Rubens in’s vlämische übersetzt. Derselben Person begegnen wir, abgesehen von der Rubens’schen Kopie, auch noch in einem andern berühmten Gemälde Tizian’s in der Belvederegalerie. Es ist dies das weißgekleidete Mädchen von etwa 14 Jahren, das einen Knaben an der Hand führt, auf dem Bilde Tizian’s „Christus von Pilatus dem Volke gezeigt“ oder der „Ecce homo“, das im 2. Saale als No. 19 aufgestellt ist. Dies letztere Bild wurde im Jahre 1543 ausgeführt im Auftrage von Tizian’s Gönner, dem reichen vlämischen, in Venedig ansäßigen Kaufmann d’Anna (van Haanen). Auf unserm Dresdner Bilde hält die um etwa 11 bis 12 Jahre ältere Jungfrau ein Fähnlein in der Hand, welche Art von Fächern nur die Neuvermählten zu tragen pflegten[1].


  1. Einige Schriftsteller bezeichneten dieses Frauenzimmer als die Geliebte Tizian’s, bedachten aber nicht, daß der Meister im Jahre 1555, als er dieses Porträt malte, etwa 78 Jahre zählte, ein Alter, das mir nicht mehr geeignet zu sein scheint, das Herz eines Frauenzimmers zu rühren. Der Marchese Campori von Modena meint, daß Tizian dieses Frauenporträt seinem Gönner Alphons II. von Ferrara zum Geschenk gemacht habe.

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  1. Vorlage: Patrizier
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/222&oldid=- (Version vom 31.7.2018)