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Vater gemalt, um etwa 15 bis 18 Jahre älter, im Bildnisse No. 231 dieser nämlichen Galerie. Tizian hätte also hier die wie eine vierzigjährige Dame aussehende und inzwischen häßlich gewordene Frau Sarcinelli etwa um 1570–72, also in seinem 94. Lebensjahre, noch einmal gemalt. Den Federwedel aber trugen nur die Adeligen in Venedig, und in der That dürfte Lavinia, als Tochter des vom Kaiser Karl V. zum Grafen, soll ich sagen erhobenen oder erniedrigten Meisters ? – auch als geadelt sich betrachtet haben. Nicht daß ich damit etwa eine Geringschätzung gegen die Grafenwürde an den Tag legen wollte; im Gegentheil, ich achte und schätze Grafen und Barone schon deßhalb, weil man unter ihnen gewiß ist, mehr gebildete und anständige Leute anzutreffen als unter der Schaar der Pluto- oder gar der Demokraten. Ich wollte eben nur sagen, daß für einen so großen Künstler, wie Tizian war, es eine Erniedrigung sein mußte, vom Kaiser mit dem gleichen Maaßstab gemessen zu werden, mit dem seine k. k. Majestät den Schwarm von Titelbettlern zu messen gewohnt war. In der politischen, officiellen Welt gilt allerdings ein Fürst mehr denn ein Graf, ein Graf mehr als ein Baron, aber in der Kunstwelt blieb und bleibt der Graf Vecellio doch immer nur ein Lump dem Künstler Tizian gegenüber.

Deutschland kann sich also rühmen, vier von Tizian gemalte Bildnisse seiner geliebten Tochter zu besitzen: erstens jenes, wo sie in dem berühmten Bilde des „Ecce homo“, in der Wiener Belvederegalerie, als etwa fünfzehnjähriges Mädchen dargestellt ist; dann die zwei soeben genannten der Dresdner Sammlung und endlich jenes idealisirte der Berliner Galerie, welches der Meister, wie es scheint, für seine Freundin Argentina Pallavicino von Reggio um 1549 malte (Gaye, II, 375).

Ich habe noch jenes Porträt einer Venezianerin zu erwähnen, das die Nummer 231 trägt. Die junge Dame hält in der Rechten einen Pelz mit Marderkopf. Herr

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/225&oldid=- (Version vom 31.7.2018)