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5. Die römische Schule.

Täusche ich mich nicht, so ist Pater Luigi Lanzi wenn nicht der erste, so doch einer der ersten gewesen, der den Namen der römischen Malerschule erfunden und in Gebrauch gebracht hat. Seit jener Zeit spielt diese Schule eine gar bedeutende Rolle in der Kunstliteratur. Eine naturwüchsige, latinische, in Roms Mauern und aus der römischen Völkerschaft erstandene und von ihr gepflegte, mit den dem Volkscharakter eigenthümlichen Zügen ausgerüstete Malerschule gab es aber ebensowenig, als eine neapolitanische oder sicilianische, eine piemontesische oder ligurische Schule je existirt hat. – Wer in Rom gebaut, wer in Rom gemeißelt oder gemalt, war kein Sohn jenes Bodens, sondern kam in den meisten Fällen aus den benachbarten Ländern, sei es aus Umbrien, sei es aus Toscana, sei es auch aus dem Bolognesischen, Venezianischen oder aus der eigentlichen Lombardei nach der päpstlichen Haupt- und Residenzstadt. Weder Raffael noch Michelangelo, die angeblichen Gründer dieser s. g. römischen Schule, waren Söhne Latium’s, sondern der erste ein Umbrer, der andere ein Florentiner. Diesen beiden Heroen folgte eine ganze Schaar von Zöglingen und Nachahmern, unter denen sich, wie sich das von selbst versteht, auch etliche befanden, die in Roms Mauern das Licht der Welt erblickt hatten. Aber diese wenigen Künstler ohne allen Lokalcharakter können doch wahrlich von keinem begonnenen Manne als die Vertreter einer Kunstschule

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/266&oldid=- (Version vom 31.7.2018)