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mit dem Blumenglase, No. 2 im I. Saale der Borghesegalerie in Rom. Das Oval dieses weiblichen Kopfes ist übrigens nicht so voll und rund, wie jenes auf dem Bilde (No. 30) in der Galerie, auch erscheint mir hier die Zeichnung flüssiger und leichter als jene auf dem gemalten Bilde, welche ja durchaus hart und steif ist. Für Lorenzo di Credi spricht auch die aufgedunsene, kurze, starke Unterlippe, ein für diesen Meister sehr charakteristischer Zug. An der rechten Seite dieser weiblichen Figur sieht man leicht hingeworfen den Kopf eines Kindes. In meinen Augen gehört diese zwar etwas verwischte, jedoch feine und gute Zeichnung dem Lorenzo di Credi und keineswegs dem Leonardino und noch weniger dem Lionardo da Vinci an. Bei diesem letztern Meister sind die Striche erstens nie so fein und kleinlich, und zweitens gehen dieselben gewöhnlich in einer entgegengesetzten Richtung[1]

Vollkommen einverstanden mit Herrn Direktor Gruner bin ich wieder in der von ihm vorgeschlagenen Benennung der Federzeichnung: „Herkules mit der Keule“, die er dem Baldasare Peruzzi zuschreibt. Diese Zeichnung gehört zu seiner mittlern Epoche. In seiner Frühzeit war er nämlich von Sodoma beeinflußt, in seiner spätern von Raffael. Ein Beispiel von der erstern finden


  1. Im Braun’schen Kataloge No. 49. Die Sammlung des Louvre besitzt wohl die meisten und schönsten Handzeichnungen des Lorenzo di Credi, und ich brauche hier nur an die Nummern 199, 200, 201, 202, 203, 205, 207, des Braun’schen Katalogs zu erinnern. Im s. g. Libro des Lionardo da Vinci, ebendaselbst, sah ich auch No. 2 und 345, die noch immer irrthümlich dem Leonardo zugeschrieben werden. Eine andere Zeichnung des Lorenzo di Credi findet sich in der Louvresammlung, welche von Braun (No. 184) unter dem Namen Lionardo da Vinci photographirt wurde. Herr Reiset begnügt sich, dieselbe unter den Unbekannten, No. 448, anzuführen. Sie stellt den von links nach rechts blickenden Kopf eines Kindes dar, Silberstift und Gips; sehr schön. Man sollte doch meinen, daß es einem Kunstforscher nicht schwer fallen sollte, mit Sicherheit den Lionardo vom Lorenzo zu unterscheiden. Ich will, um mich vorderhand nur an materielle, jedem Auge sichtbare Züge zu halten, meine jungen Freunde z. B. auf die bei beiden Schulgenossen so ganz verschiedene Form des Ohres aufmerksam machen.
    Lionardo.   Lorenzo di Credi.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/277&oldid=- (Version vom 31.7.2018)