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der Bilder aus der Frühzeit Raffael’s ausführlich mich über Timoteo auszusprechen gedenke, so gehen wir nun ohne Säumniß an die Besprechung der Umbrer, von denen mehrere interessante Werke in dieser Galerie sich vorfinden.

Wer die Hügelstadt Perugia besucht, wird dort, so erging’s wenigstens mir, durch zwei Dinge überrascht: die lieblich klingende, feine Stimme der Frauen und die Aussicht, welche vom Platze aus, wo einst das alte Castell gestanden, über die ganze Thalebene dem entzückten Auge sich darstellt. Zur Rechten das Städtchen Deruta, zur Linken auf einem Hügelvorsprunge, der sich an einen kahlen, sonnverbrannten Berg anlehnt, das schwarze Assisi, die Geburtsstätte des h. Franciscus, wo zuerst seine Feuerseele erglüht und geschwärmt, und wo seine fromme Schwester Clara gewirkt und endlich auch ihr Grab gefunden hat. Weiter, abwärts erreicht unser Blick noch Spello und das nahe Foligno, während die Hügelkette, auf deren Rücken mitten zwischen grauen Olivenbäumen Montefalco herausschaut, das reizende Bild abschließt.

Das ist das schöne Stück Erde, die liebliche Landschaft, in die Pietro Perugino seine keuschen, gotterfüllten Madonnen zu setzen liebte, und die auf seinen Bildern wie sanfte Musik die Seelenstimmung uns noch erhöht, in die seine nach dem Paradiese schmachtenden Märtyrer uns versetzen.

In diesen Thälern, auf diesen Bergen, diesseits und jenseits des Apennins, scheinen einst die Umbrer, nachdem sie aus dem Norden Italiens einerseits durch die Ligurer, andererseits durch die Illyrier südwärts gedrängt wurden, ihren Hauptsitz gehabt zu haben. Mit den in spätern Zeiten vom Norden und Westen her auf sie eindringenden Etruskern scheinen die Umbrer, nach langen und hartnäckigen Kämpfen, sich endlich ausgesöhnt und in friedliche Beziehungen getreten zu sein, und das Mischvolk, das aus der Vermengung von etruskischem mit umbrischen

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/310&oldid=- (Version vom 31.7.2018)