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Blute hervorging, die Umbrer des Mittelalters, dürfte seine innige Blutsverwandschaft mit seinen Nachbarn, den modernen Toskanern, vornehmlich durch den Kunstsinn, den sie an den Tag legt, bekunden. Schärfer und viel zäher war der Widerstand, den die Umbrer den vom Süden andrängenden Latinern entgegenstellten. Längs des adriatischen Meeres wurden die ersten jedoch von den letztern überall von der Küste vertrieben und ins Gebirge hinaufgedrängt[1].

Spricht man daher von einer umbrischen Kunstschule, so darf man nicht etwa, wie dies gewöhnlich geschieht, nur die Peruginische und etwa noch die Folignatische darunter verstehen, man muß auch die verschiedenen transapenninischen Schulen, die doch, wenigstens meiner Anschauung nach, viel naturwüchsiger und charakteristischer, wenn auch nicht so berühmt sind, wie die Peruginischen, mit einbegreifen; ich meine die Schule von Gubbio, welche in Ottaviano Nelli ihren Glanzpunkt fand, die von S. Severino und namentlich die Schule von Fabriano, aus der Allegretto


  1. Wie es etwa unter den Vögeln Sing- und Raubvögel giebt, so treffen wir in der großen Menschenfamilie Völker an, die mit Kunstsinn begabt, andere denen derselbe von der Natur versagt war. Zu den mit Kunstsinn am reichsten begabten Völkerschaften des alten Italien zählen gewiß die Etrusker, zu den kunstlosen unter andern auch die Latiner. Diese letztern haben daher wohl große Bürger, große Gesetzgeber, Staatsmänner, Advokaten und große Kriegshelden hervorgebracht, allein keine einzige wahrhaft nationale Kunstschule. Ein Beweis nun, daß die adriatische Küste, vom Rubicon bis südwärts an den heutigen Tronto, von Latinern und nicht von Umbrern besetzt und bewohnt war, ist für mich der Mangel irgend einer Kunstäußerung längs der ganzen Küste. „Südlich vom Po, sagt Mommsen (Römische Geschichte I, 113), und an den Mündungen dieses Flußes mischten sich Etrusker und Umbrer, jene als der herrschende, diese als der ältere Stamm, der die alten Kaufstädte Hadria und Spina gegründet hatte, während Felsina (Bologna) und Ravenna etruskischer Gründung scheinen“. Auf dem linken Ufer des Po bis an die Adda scheint überhaupt das etruskische Blut viel tiefere Wurzeln geschlagen zu haben, als auf dem rechten.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/311&oldid=- (Version vom 31.7.2018)