Seite:Die Werke italienischer Meister (Morelli).pdf/320

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

er mit Lebendigkeit, Anmuth und reicher Phantasie Episoden aus dem Leben des h. Bernardinus von Siena darstellte. Eines dieser Täfelchen trägt die Jahreszahl 1473. Diese Gemälde wurden von den Kunstschreibern dem schon in den fünfziger Jahren verdorbenen Veronesen Vittore Pisano, Pisanello genannt, zugemuthet[1], und da noch heutzutage von manchem Kunstfreunde nebst diesen acht Bildern auch die „Anbetung der Könige“, No. 39 in derselben Galerie, dem Fiorenzo di Lorenzo abgesprochen wird, so mögen meine jungen Freunde mir gestatten, in aller Kürze ihnen die charakteristischen, äußern Merkmale anzudeuten, an denen sich die Werke des Fiorenzo di Lorenzo leicht erkennen lassen. Die Form des Ohres ist bei ihm meist faunartig zugespitzt, der Daumen der Hand sowie die große Zehe des Fußes fast immer krampfhaft aufwärts gebogen, die Nasenspitze etwas angeschwollen, und die Lichter auf dem Nasenrücken stark betont; sein Gefälte ist geschlängelt und die Lichter darauf scharf aufgesetzt; auch bringt er auf den Aermeln, am Ellenbogengelenke, meist dichte Querfältchen an. Des Fiorenzo Zeichnung ist immer kräftig und sicher, doch giebt er nicht selten seinen Figuren einen allzulangen Oberleib. Die landschaftlichen Gründe auf seinen Bildern erinnern an diejenigen des Gozzoli, sie sind schön aufgebaut und lieblich empfunden, durch Flüsse und Städte belebt, und die Wolken in denselben sind sehr charakteristisch durch ihre scharf beleuchteten Umrisse. Diese eigenthümlichen äußern Zeichen des Fiorenzo kann man in der Stadtgalerie von Perugia an mehr denn einem Dutzend Bildern bestätigt finden, sowie ebenfalls an der „Anbetung der Könige“, No. 39[2],


  1. Von andern selbst dem A. Mantegna; die Herren Cr. und Cav. (III, 151), welche den Fiorenzo als Schüler des Bonfigli betrachten, sehen in diesen Bildern (No. 209 bis 214 und 227, 228, 233 und 234) bald den Einfluß des Bonfigli, bald den des Matteo da Siena, dann wieder den des Pier della Francesca und selbst des Liberale von Verona.
  2. Dies Gemälde wurde mannigfach besprochen, von Vasari als Werk des Perugino beschrieben, wobei von Rumohr bemerkte, es müsse der Jugendzeit Pietro’s angehören; die gegenwärtige Direktion der Galerie bezeichnet als Autor desselben den Domenico Ghirlandajo. Die Herren Cr. und Cav. jedoch sehen darin, wie mir scheint, mit größerer Sachkenntniß die Hand und den Geist des Fiorenzo di Lorenzo (III, 158).
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/320&oldid=- (Version vom 31.7.2018)