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Jahre an sein Haus und seine Familie nie wieder auf längere Zeit verließ, woraus hervorgeht, daß er unmöglich, sei es in Perugia, sei es in Florenz, beim jungen Raffael in die Lehre gegangen sein kann. Ist es aus allen diesen Gründen nun nicht einleuchtender anzunehmen, daß jener Raffael’sche Anflug, den alle Kunstkenner in Viti’s Werken, zumal in den Bildern aus der Frühzeit, bemerkten, dem individuellen Charakter des Timoteo zuzuschreiben sei? Auch er war ein Urbinate! – Wie Lorenzo Lotto früher Correggesk war als Correggio selbst, so sehen wir, daß Timoteo Viti mehrere Jahre vor Raffael seinen Werken Raffael’sche Anmuth und Raffael’schen Duft einhauchte. Allein nicht nur die Auffassung hat in den jugendlichen Bildern des Timoteo etwas, was an Raffael gemahnt, auch die Form der Hände, der Füße, des Gesichtsovals, die Art die Falten zu legen, erinnern bei ihm an seinen jungern Landsmann. Ich gebe freilich gern zu, daß für diejenigen, welche die thronende Madonna (No. 120) in der Berliner Galerie und den malenden Lucas der Akademie zu Rom dem Timoteo zumuthen können, meine Auseinandersetzungen über diesen streitigen Punkt, so redlich gemeint sie auch sind, eine Stimme in der Wüste sein werden. Wer aber unter meinen jungen Freunden den Muth haben sollte, mir auf dem etwas langen und nicht gerade sehr unterhaltenden Wege der Auseinandersetzung zu folgen, der ermanne sich mit Geduld und Ausdauer. Das Ziel, nach dem wir streben, ist einiger Mühe werth.

Betrachten wir uns nun vor allem diejenigen Werke, die mit Fug und Recht zu Timoteo’s Jugendarbeiten gezählt werden können, d. h. diejenigen, welche beiläufig im Zeitraum zwischen 1495, der Rückkehr Timoteo’s nach Urbino, und 1500, der Abreise Raffael’s von Urbino nach Perugia, entstanden sein mögen.

Hier kommt zunächst die thronende Madonna mit den Heiligen Crescenzio und Vitale, in der Breragalerie, in Betracht. In diesem schon von Vasari als Jugendwerk

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/363&oldid=- (Version vom 31.7.2018)