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von Perugia, ein untrügliches Gemälde des Eusebio, ebenfalls dem jungen Raffael zu vindiciren trachtete.

4) Die „Auferstehung Christi“ (gegenwärtig in der Vaticanischen Sammlung). Auch die Herren Cr. und Cav., dem Passavant folgend, schreiben dieses mittelmäßige Bild Raffael zu[1]. Passavant glaubte in einigen Zeichnungen der Sammlung von Oxford Studien zu den Wächtern auf diesem Gemälde erkannt zu haben, ich glaube jedoch, daß er auch darin sich getäuscht habe. Schon bei Besprechung der Predella (No. 1185 in der Münchner Galerie) sprach ich meine Meinung über dies Bild aus, indem ich es dem Giovanni Spagna zuerkannte. Das Tafelbild stand ehemals


  1. Die Historiographen der italienischen Malerei finden in diesem Bilde sogar Analogien mit dem andern Bilde „Christus am Kreuz“ bei Lord Dudley, ein Werk, das der junge Raffael ungefähr ein Jahr vor der „Krönung Mariae“ gemalt haben mag. Dies letztere Bild nun hängt in derselben Vaticanischen Galerie, nur einige Schritte von der „Auferstehung Christi“ entfernt. Ich bitte daher meine jungen Freunde, beide Bilder mit einander zu vergleichen und dann zu sagen, ob sie in der „Auferstehung Christi“ denselben Farbenglanz, dieselben Augen mit der tiefschwarzen Pupille und dem glänzenden Weiß, dieselben schwärzlichen Schatten, dieselbe Hand mit den langen Fingern, denselben seelenvollen Ausdruck in den Köpfen wahrnehmen, die ihnen in der „Krönung Mariae“ nicht entgangen sein werden.
    Was vielleicht die Herren Cr. und Cav. zu ihrem Urtheil verleitet haben dürfte, sind die zwei fliegenden Engel, die sowohl in der „Auferstehung Christi“ als im „Christus am Kreuze“ sich vorfinden und in beiden Bildern fast identisch sind. Was kann das aber mehr beweisen, als daß eben Raffael für den oberen Theil seines Bildes „Christus am Kreuz“ von seinem Meister die zwei Engel entlehnte, für den untern Theil den h. Johannes und die Madonna. Den Johannes entnahm er der 1495 gemalten „deposizione“ (im Palazzo Pitti), die Madonna dem großen Wandgemälde des Perugino im Nonnenkloster S. Maria de’ Pazzi in Florenz. In jenen Zeiten verstand man die Originalität ganz anders als heutzutage, und es war beinahe Brauch, daß Schüler oder Gehülfen sich die Kartons oder Handzeichnungen des Meisters für ihre eigenen Bilder zu Nutzen machten.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/373&oldid=- (Version vom 31.7.2018)