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dies Bild unvollendet, da dringende Geschäfte ihn wieder nach Perugia zurückgerufen zu haben scheinen. Raffael war schon damals sowohl in Florenz als in Perugia und Urbino ein berühmter Meister, so daß Bestellungen von allen Seiten ihm zuflossen, und er darum genöthigt war, zu Gehülfen seine Zuflucht zu nehmen. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß gar manches in dieser Epoche seiner Thätigkeit (vom Ende des Jahres 1506 bis Mitte 1508) aus seinem Atelier hervorgegangene Werk die Raffaelische Abstammung minder rein zur Schau trägt als die früheren Werke[1].

Am Schlusse meiner vielleicht allzulangen Plauderei über Timoteo Viti’s Verhältniß zum jungen Raffael drängt es mich, an meine Leser die Bitte zu richten, die langen Auseinandersetzungen und Abschweifungen zur Begründung meiner Hypothese mir zu gute halten zu wollen. Es mag wohl sein, daß das Resultat meiner Forschungen über die Entwicklungsgeschichte des Urbinaten nur eine Illusion sei. Doch wird man mir vielleicht so viel wenigstens einräumen, daß meine Hypothese der Wahrheit näher zu kommen scheint, als was uns Vasari, Rumohr und Passavant über den Entwicklungsgang des jungen Raffael erzählt haben.

Der Punkt nun, welchen bei dieser langen Auseinandersetzung besser aufzuklären mir am Herzen lag, war der Beweis, daß Timoteo Viti in keinem Falle als Schüler oder Nachahmer Raffael’s angesehen werden dürfe, und diesen Beweis hoffe ich, so gut es mir eben möglich war, thatsächlich geliefert zu haben.

Bevor wir nun von den Werken der Frühzeit Raffael’s


  1. Pregovi a compatirmi, schreibt Raffael den 5. September 1508 an Francia, e perdonarmi la dilatione e lunghezza del mio (nämlich die Zusendung seines eigenen Porträts) che per le gravi e incessanti occupationi non ho potuto sin ora fare di mia mano, conforme il nostro accordo, chè ve l’avrei mandato fatto da qualche mio giovine, e me ritoccato. (Vasari, Ediz. Le Monnier VI, 16).
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/396&oldid=- (Version vom 31.7.2018)