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und den Vivarini, selbst dem Carpaccio gegenüber sich noch in einer untergeordneten Stellung fühlen. Aus seinen Bildern aus spätern Jahren scheint es mir klar hervorzuleuchten, daß er in Venedig durch das Studium der Werke und im Umgange mit den dortigen großen Meistern nach und nach sich ausgebildet und jenen Grad von Vollkommenheit, namentlich in der Formgebung und in der Linienperspektive, erreicht habe, die wir in seinen frühern „Ecce homo“ noch vermissen, in seinen Bildnissen aber von den Jahren 1475, 76 und 78 bewundern. Bis zu diesem letztern Jahre behält das Incarnat in den Bildern des Antonello die vlämisch-röthliche Farbe bei[1], während das männliche Porträt vom Jahre 1478 in der Berliner Galerie (No. 18) schon eine hellere Fleischfarbe, ähnlich derjenigen in Giambellino’s Bildern, bekommen hat. Unter allen Bildnissen des Messinesen gebe ich diesem in Berlin den Vorzug. In seinen übrigen Porträtbildern, sowohl in denen aus der Frühzeit, wie in jenen aus dem neunten Decennium (1480[a 1]–1490), z. B. in dem trefflichen Mannesporträt beim Advokaten Molfino in Genua, oder in jenem Bildniß eines mit Lorbeer bekränzten Mannes im Museo civico von Mailand, übertreibt Antonello die Linienperspektive des Auges in einem Maße, daß der Blick der dargestellten Person dadurch eine unnatürliche Schärfe erhält, wie dies übrigens auch Dürer in seinem sonst so herrlichen Bildnisse des alten Holtzschuher’s in Nürnberg erging.

In diese seine spätere oder venezianische Epoche setze ich, außer dem h. Sebastianus in Dresden, auch noch das schöne Bildniß eines jungen Mannes in der Berliner Galerie (No. 25), einen „Christus am Kreuze“, im Besitze des kürzlich verstorbenen Duca di Castelvecchio in Rom, und den leider ganz übermalten h. Sebastian (No. 16) in der Städel’schen Galerie zu Frankfurt.


  1. So z. B. in dem männlichen Bildniß im Hause Trivulzio zu Mailand vom Jahre 1476 – in jenem in der Galerie Borghese zu Rom – in dem anderen in der Sammlung des Fürsten Giovanelli zu Venedig.

Druckfehlerverzeichnis

  1. Vorlage: 1486
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/443&oldid=- (Version vom 31.7.2018)