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„die Auferstehung Christi“, manches studirt und gelernt haben möchte, daß er jedoch, wie die Herren Cr. und Cav. wollen, in seiner guten Zeit den Cadoriner je nachzuahmen gestrebt habe, das vermag ich fürwahr nicht einzusehen[1]. Man betrachte seine Werke vom Jahre 1521 in S. Giovanni Evangelista in Brescia, sein männliches Bildniß vom Jahre 1526 (gegenwärtig in der Nationalgalerie von London), die h. Margarethe vom Jahre 1530 in S. Francesco in Brescia, das andere Bild vom Jahre 1540 in S. Giorgio zu Verona, und man wird hoffentlich mir zugeben, daß in diesen Werken von einem Einfluß Tizian’s auf Moretto im Ernste nicht die Rede sein könne[2], noch viel weniger aber von einer direkten Einwirkung des Palma vecchio auf die Kunst des durchaus originellen Brescianer’s. Es ist dies wieder eine von den vielen ganz aus der Luft gegriffenen Behauptungen, die ihre Entstehung lediglich dem leidigen Beeinflussungssystem der berühmten Historiographen der italienischen Malerei zu verdanken haben. Die stets eleganten Formen des Brescianer’s sind ja so verschieden von den Formen des Bergamasken, auch stehen die tiefen, goldenen Farbentöne dieses letztern im grellsten Widerspruch zu den feinen Silbertönen in den Gemälden des Moretto. Seine Farbenharmonien


  1. In seiner späteren Zeit mag Moretto allerdings manchmal sich an Tizian erinnert haben. Als Moretto im Jahre 1544 seine „h. Magdalena im Hause des Pharisäers“ (Alexander Morettus Brix, 1544 bezeichnet) für die Klosterkirche von S. Giacomo in Monfelice malte (jetzt in S. Maria della Pietà zu Venedig), scheint er kürzere Zeit auch in Venedig sich aufgehalten und dort das Porträt von Pietro Aretino gemalt zu haben. Es versteht sich nun wohl von selbst, daß er während jenes Aufenthaltes gar manches Werk der großen venezianischen Maler sich angeschaut und studirt habe.
  2. Sogar der sonst phantastische A. F. Rio (Léonard de Vinci et son École, p. 306) bemerkt: „la différence qui continua de subsister entre sa manière (des Moretto) et celle de l’école Vénitienne n’a pu échapper qu’ à des observateurs superficiels.“
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/461&oldid=- (Version vom 31.7.2018)