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Zu den unmittelbaren Schülern des Lionardo da Vinci in Mailand, von denen wir beglaubigte Werke besitzen, rechnen wir Giovan Antonio Boltraffio; Marco d’Oggionno; Andrea Sala, Salaïno, d. h. der kleine Sala, genannt; Giovan Antonio Bazzi, in Siena Sodoma genannt; Cesare da Sesto; zu den indirekt von ihm beeinflußten den Mailänder Ambrogio de Predis[1], den Pavesen Bernardino dei Conti, Andrea


  1. Ambrogio Preda oder lateinisch de Predis, ein unbekannter Maler, den ich meinen jungen Lesern vorzustellen die Freude habe, scheint beim Kaiser Maximilian I. in hohen Gunsten gestanden zu haben. In der Ambraser Sammlung in Wien finden wir nämlich von ihm das Bildniß dieses Kaisers im Profil dargestellt. Der Kaiser trägt eine schwarze Mütze, seine Brust ist mit dem Orden des goldenen Vließes geziert, die langen hellbraunen Haare fallen schwerfällig auf die Schultern herab. Auf Pappelholz und bezeichnet:
    Ambrosius de pdis (predis) mlaneñ. (milanensis) 1502.
    (Siehe Nagler’s Monogrammisten I, 414.) Leider ist dies gute Gemälde schmutzig, und das Gesicht ist überdies an Augen und Mund etwas übermalt. Eine kleine getuschte Federskizze zu diesem Porträt befindet sich unter dem Namen des Lionardo in der Sammlung der Venezianischen Akademie, auf demselben Blatte finden wir noch die Skizze zum Profilporträt der zweiten Gemahlin des Kaisers, Bianca Maria Sforza, Nichte des Lodovico il Moro, und überdies die Studie zu einem segnenden Christkinde. (Von Antonio Perini zu Venedig photographirt, No. 178). Die Herren Cr. und Cav. erwähnen dies Porträt des Kaisers Maximilian, versetzen es jedoch in die Schönborngalerie und schreiben es überdies dem Ambrogio Borgognone zu (II, 50). Diesem Ambrogio Preda erlaube ich mir, und zwar ohne Zaudern, auch das berühmte, von allen Schriftstellern über Kunst dem Lionardo da Vinci zugemuthete Profilporträt der Bianca Maria Sforza in der Ambrosiana zu Mailand (daselbst irrigerweise Beatrice Sforza genannt) zurückzustellen. Ambrogio Preda dürfte die hohe Dame in diesem Porträt als Braut des Kaisers, also im Jahre 1493, dargestellt haben. Sie trägt denselben Perlenschmuck am Halse und auf der Brust (wahrscheinlich das Geschenk ihres kaiserlichen Bräutigams), wie aus der obengenannten Federskizze in der Akademie von Venedig. Auch das weibliche Porträt in der Ambrosiana ist auf Pappelholz gemalt. Im Jahre 1525 befand sich dies letztere Bild im Besitze des Taddeo Contarino von Venedig und wurde vom Anonymus des Morelli folgendermassen beschrieben: El retratto in profilo insino alle spalle de Madonna . . . . . . fiola (sollte sagen nipote) del Signor Lodovico (il Moro de Milano) maritata nello Imperatore Massimiliano fù de mano de . . . . . . . milanese (S. 65). Der Name des Malers war dem Anonymus, vielleicht selbst dem Besitzer des Bildes unbekannt, es kam jedoch damals in Venedig keinem Kunstfreunde in den Sinn, jenes Bildniß Lionardo da Vinci zuschreiben zu wollen.
    Ein drittes Porträt dieses Ambrogio Preda besitzt Herr Giovanni Morelli in Mailand. Dasselbe stellt einen jungen Mann mit langen hellbraunen Haaren und mit einer kleinen weißen Mütze auf dem Kopfe dar; er ist von vorn gesehen und auch auf Pappelholz gemalt. Auch dies Porträt wurde früher Lionardo da Vinci zugemuthet.
    Unter vielen andern in der Sammlung der Uffizien Lionardo fälschlich zugeschriebenen Handzeichnungen befinden sich auch zwei leicht getuschte, wovon die eine ein junges vornehm gekleidetes Weib darstellt, fast von vorn gesehen, die Stirne mit einem Sevigné geziert. Oben auf dem Blatte liest man auf der rechten Seite: Beatrice Estense; auf der linken: Lionardo da Vinci. Irre ich nicht, so ist dies das Porträt der Isabella d’Aragona und nicht der Beatrice d’Este. (Bei Philipot in Florenz, No. 2888).
    Die andere jener getuschten Handzeichnungen stellt den mit einer Mütze bedeckten Kopf eines Knaben dar, in dreiviertel Ansicht; dieses Blatt trägt folgende Aufschrift: Francesco Sforza Conte di Pavia, figlio di Gio. Galeazzo Sforza e d’Isabella d’Aragona, pronipote di Lodovico Sforza il Moro, disegnato da Lionardo da Vinci. (Bei Philipot, No. 2887).
    Beide Zeichnungen verrathen die nämliche Hand und stimmen in der Formgebung ganz und gar mit den oben erwähnten drei gemalten Bildnissen des Ambrosius de Predis überein.
    Wie mir nun von competenter Seite berichtet wird, befindet sich in der Sammlung des Herrn Fuller-Maitland[a 1] in London das schöne Porträt eines Jünglings, mit dem Jahre 1494 und dem Monogramm: (Ambrosius Predis Mediolanensis?) bezeichnet, das höchstwahrscheinlich ebenfalls unserm Ambrogio Preda, einem bis jetzt völlig unbekannt gebliebenen mailändischen Porträtmaler, angehören dürfte.
    Ein Verwandter, vielleicht Vater, des Ambrogio, scheint der bekannte Modenesische Miniaturist Christophorus de Predis, von dem in der königlichen Bibliothek in Turin eine sehr schöne Miniatur sich vorfindet, gewesen zu sein: Bezeichnet:
    DVX. MLI. QVINTVS
    OPVS. XPOFORI. DE PREDIS[a 2]
    MVT. DIE 3. APRILIS. 1474.
    Ich bin leider nicht in der Lage, meinen jungen Freunden außer den eben citirten noch andere Werke des Ambrogio Preda anzuführen, mögen sie daher mit dem Wenigen, was ich ihnen biete, vorlieb nehmen, und möge dem einen oder andern von ihnen das Glück beschieden sein, andere Porträts dieses trefflichen, bei den Sforza’s in Ehren gehaltenen mailändischen Malers aufzufinden.

Druckfehlerverzeichnis

  1. Vorlage: Fuller-Mailand
  2. Vorlage: PSEDIS
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/475&oldid=- (Version vom 31.7.2018)